Die Lieferkette deutscher Unternehmen soll sozialer und ökologischer werden. Um das zu erreichen, ist in Deutschland am 1. Januar dieses Jahres das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten. Es verpflichtet deutsche Unternehmen zur Kontrolle und Umsetzung entsprechender Mindeststandards entlang ihrer kompletten Lieferkette. Juliette Witte, Senior Consultant bei Mazars, berät die Unternehmen aktiv bei der Implementierung der neuen Regelungen. Ein Interview über erste Erfahrungen mit dem Gesetz.
Das LkSG hat zweifellos positive Zielsetzungen, doch stellt es auch hohe Anforderungen an die Unternehmen. Wie bewerten Sie den Aufwand, den die berichtspflichtigen Unternehmen betreiben müssen?
Juliette Witte: Der Umfang des Aufwands und die damit einhergehenden innerbetrieblichen Maßnahmen hängen stark von der Unternehmensgröße und den Branchen ab, in denen die Unternehmen tätig sind. In der Regel haben produzierende Unternehmen umfangreichere und verzweigtere Lieferketten als beispielsweise Dienstleistungsunternehmen. Entsprechend aufwendiger ist es für die Industrie, den Reporting-Verpflichtungen nachzukommen.
Wie sollten sich die Unternehmen intern aufstellen, um den Herausforderungen gerecht zu werden?
Es empfiehlt sich in jedem Fall eine/n LkSG-Beauftragte/n zu benennen, der/die die gesetzlichen Regelungen und die entsprechenden Vorkehrungen und Prozesse im Unternehmen im Blick behält und koordiniert. Je nach Unternehmensgröße und Umfang der Lieferkette kann es sogar sinnvoll sein, ein kleines Team mit der Aufgabe zu betreuen. Mit der Benennung dieser Expert*innen ist es aber nicht getan, denn das LkSG-Reporting ist eine unternehmensübergreifende Aufgabe und erfordert die Zusammenarbeit diverser Abteilungen. Die Zusammenarbeit ist essenziell und muss gezielt gefördert werden.
Spielen Wirtschaftsprüfer*innen hierbei auch eine Rolle?
Zumindest eine indirekte. So verpflichtet das LkSG die Unternehmen, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einen Bericht vorzulegen, der die Sorgfaltspflicht entlang der Lieferkette dokumentiert. Wie bereits an anderer Stelle im Wirtschaftsprüfungs-Blog gezeigt, lassen sich zwischen dem BAFA-Reporting und der Berichterstattung im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) deutliche Synergien erzielen: Rund 20 Prozent der BAFA-Fragen können mit Inhalten aus der CSRD-Berichterstattung beantwortet werden, bei einem weiteren Drittel der Fragen können die Inhalte teilweise genutzt werden. Anders als beim LkSG-Reporting werden Wirtschaftsprüfer*innen ab 2025 die CSRD-Nachhaltigkeitserklärungen prüfen.
Trotz der Synergien hört sich das alles nach einem großen bürokratischen Aufwand an – drohen deutschen Unternehmen hierdurch Wettbewerbsnachteile?
Auch wenn die Einrichtung der neuen Strukturen den Unternehmen zu Beginn einiges abverlangt, können sich langfristig sogar Wettbewerbsvorteile daraus ergeben. So erwarten Kund*innen aber auch die Stakeholder allgemein verstärkt, dass die Unternehmen ökologisch und sozial nachhaltig wirtschaften. Kund*innen berücksichtigen das bei ihren Kaufentscheidungen, Investor*innen bei ihren Anlagestrategien und potenzielle Mitarbeiter*innen bei ihren Bewerbungen. Transparente Lieferketten bedeuten oft aber auch resiliente Lieferketten. Wie wichtig eine zuverlässige Supply Chain ist, haben die Krisen der vergangenen Jahre deutlich gezeigt. Zudem ist eine ähnliche Regelung zur Kontrolle der Lieferkette auch auf europäischer Ebene geplant – deutsche Unternehmen dürften hier durch die frühzeitige Hinterlegung der notwendigen Prozesse im Rahmen des LkSG einen Vorteil haben.
Reality Check: Lassen sich internationale Zulieferer kontrollieren?
Das globale System der Zulieferer und Sub-Zulieferer ist komplex und in manchen Branchen selbst für Expert*innen kaum zu überblicken. Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund eine umfassende Kontrolle der Lieferkette?
Tatsächlich verlangt es den Unternehmen in einem ersten Schritt einiges ab, die bestehenden Zulieferer entsprechend der LkSG-Kriterien zu prüfen. Sind die nachhaltigen Standards aber erst mal etabliert und auch entsprechende Produktsiegel vergeben, reduziert sich der Aufwand. Dazu tragen auch digitale Tools bei, die Veränderungen bei den Lieferanten monitoren. So erhalten die Unternehmen teilweise eine automatische Benachrichtigung, wenn ein Zulieferer bestimmte Vorgaben nicht mehr erfüllt. Auf diese Weise wird nicht nur die Dokumentationsgrundlage gewährleistet, sondern auch der Arbeitsaufwand reduziert.
Haben die internationalen Zulieferer Verständnis für die Kontrollwünsche ihrer Prozesse durch deutsche Unternehmen?
Wir sehen aktuell, dass viele internationale Zulieferer das LkSG noch nicht kennen und entsprechende Informationen benötigen. Ein gewisses Maß an kommunikativem Feingefühl gegenüber den Lieferanten schadet deshalb sicherlich nicht. Letztlich kann der Austausch aber sehr förderlich sein, denn hierdurch wird die Geschäftsbeziehung gestärkt. Durch Austausch und Transparenz können unter Umständen auch Abläufe optimiert und Innovationen ermöglicht werden – davon profitieren alle Partner.
Und wenn der Zulieferer an einem solchen Austausch nicht interessiert ist?
Zuallererst sind die internationalen Zulieferer in der Regel daran interessiert, das Vertrauen ihrer deutschen Kunden und ihre Aufträge zu behalten – deshalb werden sich die wenigsten einem Dialog verweigern und auch den Kontrollwünschen entsprechen. Gleichwohl kann es vorkommen, dass sich ein Zulieferer nicht an die definierten Nachhaltigkeitsstandards anpassen kann oder will – etwa aufgrund abweichender Rechtsvorschriften, unflexibler Produktionsprozesse oder auch aus kulturellen Gründen. Wir sehen, dass viele deutsche Unternehmen mit ihren Zulieferern gemeinsame Arbeitsprämissen erzielen möchten, zum Beispiel in Form von regelmäßigen Audits und Kontrollmaßnahmen. Auf diese Weise nehmen sie ihre Zulieferer in die Pflicht, konform mit dem LkSG zu agieren.
Reicht es denn aus, wenn die Zulieferer versichern, dass sie die deutschen Standards einhalten?
Die Zustimmung zur Einhaltung der Vorschriften auf Seiten der Zulieferer ist die Grundvoraussetzung für die weitere Geschäftsbeziehung. Sie sollte in den Supplier Code of Conduct integriert werden, der zwingend unterzeichnet werden muss. Für die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben reicht dies jedoch nicht aus.
Was ist darüber hinaus erforderlich?
Es ist zunächst wichtig zu verstehen, dass die deutschen Unternehmen in Bezug auf die Einhaltung der Nachhaltigkeitsstandards ihrer Zulieferer keine Erfolgspflicht haben. Es besteht lediglich eine Bemühenspflicht. Das heißt, das Unternehmen muss nachweisen, dass es alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die LkSG-Vorgaben bei den Zulieferern umzusetzen.
An welche Maßnahmen denkt der Gesetzgeber hier konkret?
Das kann beispielsweise die Etablierung von Richtlinien und Verhaltenskodizes beim Lieferanten sein, es können Schulungen der Zulieferer sein, aber auch Besuche vor Ort, Kooperation mit NGOs, lokalen Behörden oder sonstigen Einrichtungen, welche die Einhaltung der Vorgaben prüfen. Auch Informationskampagnen für die Mitarbeiter*innen des Lieferanten zum Thema Menschenrechte und Unterstützungsangebote für diejenigen, die ihre Rechte nicht gewahrt sehen, sind hilfreich, um der Bemühenspflicht zu genügen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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Autorin: Juliette Witte war bis Dezember 2023 als Senior Consultant bei Mazars in der Service Line Consulting tätig.
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