Wie Emotionen Mitarbeiter*innen im Unternehmen halten
Mitarbeiterbindung war schon immer zentral für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen. Aufgrund des Fachkräftemangels wird es jetzt noch wichtiger, auf die Erwartungen der Belegschaft einzugehen – auch für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Warum hierbei Emotionen und die individuellen Bedürfnisse einzelner Mitarbeiter*innen eine immer größere Rolle spielen, erklären Dr. Karla Brinck, Head of People and Organizational Development bei Mazars und Lorenz Rogall, Head of Talent Acquisition bei Mazars.
Die Wirtschaft leidet branchenübergreifend unter akutem Fachkräftemangel. Kommt der Mitarbeiterbindung daher eine höhere Bedeutung zu?
Brinck: Vielen Unternehmen ist es seit jeher wichtig, dass Mitarbeiter*innen eine Bindung zum Unternehmen aufbauen. Die damit einhergehende höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen führt nachgewiesenermaßen zu besseren Leistungen und somit zu einer besseren Qualität der Arbeitsergebnisse. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das Thema jetzt aber noch relevanter und sichtbarer geworden, weil entstandene Lücken sich nicht mehr so leicht füllen lassen.
Was bedeutet das speziell für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften?
Rogall: Der demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel wirken sich natürlich auch auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aus. Hinzu kommt aber ein weiterer Druckpunkt: Aktuell stellen wir fest, dass sich immer weniger Absolvent*innen bewusst für die Wirtschaftsprüfung entscheiden. Die Gründe hierfür gilt es herauszufinden und in den Konzepten zur Mitarbeiterbindung zu berücksichtigen. Auf diese Weise sollte es uns gelingen, das Berufsfeld weiterzuentwickeln und es interessanter für neue Talente zu machen.
Auf welche Weise lassen sich Mitarbeiter*innen langfristig am besten im Unternehmen halten?
Brinck: Aus unserer Sicht steht das affektive Commitment ganz klar an erster Stelle. Bindung ist dann am stabilsten, wenn Mitarbeiter*innen die Werte des Unternehmens vertreten und stolz darauf sind, ein Teil der Organisation zu sein, wenn sie sich also mit dem Unternehmen als Ganzes identifizieren. Anders ist es beim rationalen oder kalkulatorischen Commitment: Hier basiert die Bindung letztlich nur auf der Annahme, dass man woanders weniger Gehalt bekommt. Eine solche Bindung ist sehr fragil, denn schon die Aussicht auf einen höher dotierten Job kann sie wieder lösen.
Mit Employer-Branding-Strategie zu loyalen Mitarbeiter*innen
Wie lässt sich eine solche emotionale Bindung herstellen?
Rogall: Ein wesentlicher Punkt ist eine überzeugende Employer-Branding-Strategie. Hierbei sollte es eben nicht nur darum gehen, die klassischen Benefits ins Schaufenster zu stellen – ein Arbeitgeber würde sich so kaum von anderen differenzieren. Ziel ist es stattdessen, eine Markenidentität zu schaffen, die potenziellen Mitarbeiter*innen zwei wesentliche Punkte signalisiert: Dass sie bei dem entsprechenden Unternehmen einen guten Job machen würden und dass sie dort mit Freude arbeiten würden.
Ist Employer Branding nicht eher ein Instrument zur Personalgewinnung, weniger zur Mitarbeiterbindung?
Rogall: Richtig verstandenes Employer Branding hat seinen Ausgangspunkt immer in der internen Kommunikation. Nur wenn man seine Mitarbeiter*innen in die Markenentwicklung einbindet, mit ihnen erarbeitet, für welche Werte das Unternehmen als Arbeitgeber steht, was also letztlich seine Identität ausmacht – nur dann kann man diese Mitarbeiter*innen als Botschafter*innen für das Unternehmen gewinnen. Wirklich glaubhaft wird die Corporate Identity schließlich erst, wenn Mitarbeiter*innen selbst für ihr Unternehmen werben. Ist man bis zu diesem Punkt gekommen, kann ein Unternehmen viele Einstellungen durch Mitarbeiterempfehlungen generieren.
Wie können Unternehmen darüber hinaus für emotionalen Kitt sorgen?
Brinck: Wichtig sind vor allem die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Denn bei den Gründen, warum Mitarbeiter*innen ein Unternehmen verlassen, ranken fehlende Entwicklungsmöglichkeiten meist ganz weit oben. Um den Erwartungen der Mitarbeiter*innen zu entsprechen, rückt man heute die individuellen Bedürfnisse und Interessen deutlich stärker ins Zentrum, als das früher einmal der Fall war. Ein Grund dafür: Die Lebens- und Karrierewege verlaufen nicht mehr so stringent wie damals.
Generationenfrage spielt bei Erwartungen der Arbeitnehmer eher untergeordnete Rolle
In den Medien ist immer wieder die Rede davon, dass sich vor allem die Bedürfnisse der jüngeren Generationen stark verlagert haben – stellen Sie das auch fest?
Brinck: Jüngere und ältere Mitarbeiter*innen stehen an unterschiedlichen Stellen ihrer Karriere – von daher gibt es auch unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse. Ansonsten sind es eher die Erwartungen an Arbeit insgesamt, die sich verschoben haben. Entsprechend rücken Aspekte wie Weiterentwicklung, intrinsische Werte der Arbeit oder eben auch sinnstiftende Tätigkeiten in den Vordergrund.
Diese Erwartungshaltung hat also nichts mit der Generation zu tun, der man angehört?
Rogall: Möglicherweise sprechen jüngere Mitarbeiter*innen ihre Erwartungen an das Unternehmen und die zu besetzende Stelle etwas selbstverständlicher an als ältere Kolleg*innen. Ansonsten entwickelt sich das Leben insgesamt weiter, und auch innerhalb einer Generation findet man ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Erwartungen und Einstellungen. Eine größere Bedeutung als die Frage nach der Generationenzugehörigkeit scheint vielmehr das Thema „Angebot und Nachfrage“ zu haben: Gut qualifizierte Arbeitnehmer*innen können sich das Unternehmen, für das sie tätig werden wollen, heute im Grunde aussuchen. Das führt dazu, dass sie Erwartungen und Forderungen klarer artikulieren, als das früher der Fall war.
Dienstwagen oder Smartphone – was bevorzugen die Jüngeren heutzutage?
Rogall: Ich könnte mir vorstellen, dass die jüngeren Generationen das neuste Smartphone-Modell eventuell mehr zu schätzen wissen als ein Auto. Aber verallgemeinern lässt sich das in keinem Fall – die Präferenzen sind sehr unterschiedlich und individuell geprägt. Aber natürlich können Benefits wie diese durchaus einen Einfluss auf die Attraktivität eines Arbeitgebers haben.
Gesellschaftlicher Auftrag der Wirtschaftsprüfung sollte klarer kommuniziert werden
Sie sagen, der sinnstiftende Aspekt der Arbeit nehme an Bedeutung zu – was bedeutet das für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften?
Brinck: Wirtschaftsprüfer*innen tragen eine hohe Verantwortung. Ihre Arbeit ist für die Finanzmärkte, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes essenziell. Aus diesem Grund steht der sinnstiftende Aspekt ihrer Tätigkeit außer Frage. Gleichwohl ist der übergeordnete Wert ihrer Tätigkeit für die Allgemeinheit nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Man müsste also mehr über dieses Thema reden; der Purpose von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ließe sich im Grunde auch sehr gut kommunizieren.
Rogall: Das halte ich auch für einen sehr wichtigen Punkt. Man sollte hierbei aber nicht nur an die externe Kommunikation denken. Gerade für die Mitarbeiterbindung ist es wichtig, das Thema Purpose auch auf Teamebene zu diskutieren. Nur so werden wichtige sinnstiftende Aspekte – etwa die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für die Finanzmarktstabilität – für alle Mitarbeiter*innen greifbar. Wir ermutigen Führungskräfte deshalb immer wieder, das Thema Purpose individuell zu erläutern oder besser noch: es gemeinsam mit verschiedenen Gruppierungen zu erarbeiten.
Welche Erwartungen haben Mitarbeiter*innen heute konkret an ihr Arbeitsumfeld?
Brinck: Mitarbeiter*innen haben heute sehr unterschiedliche Erwartungen, weil auch die Mitarbeiter*innen selbst sehr viel diverser sind als noch vor 30 oder 40 Jahren. Dennoch gibt es einige Aspekte, die sich generalisieren lassen. So wünschen sich die allermeisten räumlich und zeitlich flexible Arbeitsmodelle – die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, ist damit schon fast eine Art Grundvoraussetzung.
Gibt es den Trend zum Homeoffice schon länger oder war die Corona-Pandemie hier der Flaschenöffner?
Brinck: Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Angestellte schon früher gewünscht haben, verstärkt im Homeoffice zu arbeiten. Erst die praktische Erfahrung damit während der Pandemie hat dann aber gezeigt, wie gut sich Arbeit auf diese Weise organisieren lässt. Ich glaube in diesem Zusammenhang auch nicht, dass sich das Rad wieder zurückdrehen lässt: Von einem als fortschrittlich empfundenen Zustand wieder komplett in den alten Zustand zurückzugehen, das halte ich für ungesund.
Wie Mitarbeiter*innen ihre Arbeit organisieren, sollte man ihnen selbst überlassen
Sie haben hervorgehoben, wie wichtig die affektive Bindung an den Arbeitgeber ist. Täuscht der Eindruck oder würde das nicht besser funktionieren, wenn man sich auch physisch in der Gemeinschaft erlebt?
Rogall: Ich stimme Ihnen zu, dass die emotionale Bindung von persönlichen Begegnungen profitiert. Diese kann man aber auf unterschiedliche Art und Weise ermöglichen. Wie immer kommt es auf die jeweilige Situation, auf die Branche und den Beruf an. In einigen Arbeitsfeldern ist es ja tatsächlich das Beste oder sogar unabdingbar, dass vor Ort gearbeitet wird. Aus unserer Sicht sollte es deshalb kein starres, allgemein verordnetes Arbeitsmodell für alle geben. Stattdessen sollten Arbeitgeber ihren Mitarbeiter*innen mehr Vertrauen entgegenbringen: Diese sollen ihre Arbeitsweise so gestalten, wie es für ihre individuelle Situation, für das Team, für das Unternehmen und für das Arbeitsergebnis am besten ist. Die richtige Systematik und Methodik lassen sich am besten innerhalb der Teams entwickeln und gemeinsam festlegen. Was das Team braucht, um sich als Team zu fühlen, sollte hierbei unbedingt miterörtert werden.
Homeoffice, sinnstiftende Arbeit, Entwicklung entlang der individuellen Bedürfnisse – spielt denn das Geld bei der Mitarbeiterbindung keine Rolle mehr?
Rogall: Geld ist aus meiner Sicht ein klassischer Hygiene-Faktor. Wenn Organisationen kein marktgerechtes Gehalt anbieten, können sie es schwer haben, ihre Mitarbeiter*innen zu halten. Das muss zwar nicht so sein, weil andere Faktoren eine größere Rolle spielen – wichtig bleibt das Finanzielle aber dennoch.
Oft kündigen Mitarbeiter*innen, weil sie nicht mit ihren Führungskräften klarkommen – wie lässt sich so etwas verhindern?
Brinck: Führungskräften sollte das nötige Handwerkszeug an die Hand gegeben werden. Gerade aufgrund der diversen Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen sind die Anforderungen an Führungskräfte stark gestiegen. Sie benötigen deshalb entsprechende Angebote, die sie in ihrer Rolle unterstützen. Gut ist es zudem, eine Kultur zu schaffen, der es Führungskräften ermöglicht, sich über Herausforderungen und Strategien auszutauschen. Wenn die Konflikte aber trotz aller Vorkehrungen auftreten oder weiter bestehen bleiben, sollte es immer das Ziel sein, den oder die Mitarbeiter*in nicht zu verlieren. Stattdessen sollte Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb der Organisation zu wechseln.
Vielen Dank für das Gespräch.
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