Energieeinsparung und erneuerbare Energien in der IFRS-Bilanzierung – ein wirtschaftliches Mysterium?
Anfang Juni 2023 greift das International Accounting Standard Board (IASB) die Diskussion der Praxis zur Bilanzierung von Energiebezugsverträgen im Agenda-Papier Application of the „Own use“ exception in the Light of Current Market and Geopolitical Questions (IFRS 9) auf. Während Energieverträge früher eher kein Bilanzierungsthema waren, sind sie heute zu einem ständigen Diskussionsgegenstand in den Kreisen der Expert*innen für Finanzinstrumente und Wirtschaftsprüfer*innen geworden.
Energieverträge: Schwebende Geschäfte oder Finanzinstrumente?
Verträge zur Energieversorgung von Unternehmen galten bisher in der Regel als schwebende Geschäfte, bei denen die Lieferung von Energie gegen Entgelt über einen definierten Zeitraum vereinbart wird. Wie bereits in einem früheren Beitrag gezeigt, sind schwebende Geschäfte grundsätzlich nicht zu bilanzieren, soweit sich Leistung und Gegenleistung ausgleichen. Grundsätzlich sind Verträge zum Bezug von Energie für den Produktionsprozess auch keine Finanzinstrumente.
Ein Energiebezugsvertrag kann in den Anwendungsbereich des IFRS 9 zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten fallen, wenn dieser zu einem Nettoausgleich beziehungsweise einer Geldzahlung oder einem Ausgleich in anderen Finanzinstrumenten führt oder führen kann und die Eigenverbrauchsausnahme nicht gilt. Das bedeutet, dass
- sich die Leistungen von Energielieferung und Entgelt für die bezogene Energie nicht ausgleichen, sondern dass darüber hinaus noch weitere Zahlungen in Geld oder Finanzinstrumente zum Austausch kommen oder
- die bezogene Energie nicht oder nicht ausschließlich dem Zweck zur Versorgung des Unternehmens mit Energie, sondern noch weiteren Zwecken dient.
Praxis: Vielgestaltigkeit von Ausgleich in Geld und anderen Finanzinstrumenten
In der Praxis weisen Energieverträge eine große Bandbreite an Gestaltungen auf. Unternehmen reagieren in unterschiedlichster Weise auf aktuelle Situationen. Bedingt durch die gegenwärtige geopolitische Entwicklung mussten Unternehmen Maßnahmen zur Energieeinsparung ergreifen und Produktionsstillstände verkraften. In diesem Zusammenhang kam es auch zu Strafzahlungen. Muss ein Unternehmen ein Entgelt oder eine Strafzahlung entrichten, weil es eine vereinbarte Energiemenge nicht abnimmt, stellt dies nach IFRS 9 einen Nettoausgleich in Geld dar.
Bestimmte Vereinbarungen zum Bezug von erneuerbaren Energien haben durchaus aufgrund der Nichtlagerbarkeit der Energie letztendlich Nettoausgleiche in Geld oder auch die Notwendigkeit für den Käufer, einen Teil der georderten und nicht verbrauchten Energiemenge weiterzuverkaufen, zur Folge. Dies ist gerade im Bereich der erneuerbaren Energien der Fall.
Weiterhin anhaltende Unsicherheiten bedingen Verträge mit Mehr- und Mindermengenflexibilisierungen, die durchaus auch Ausgleichszahlungen in Geld umfassen können.
In der Praxis gibt es somit eine Vielzahl von Gründen für unerwartete Abweichungen zwischen dem geplanten Energiebedarf und dem tatsächlichen Verbrauch. Diese wiederum führen zu den verschiedensten Formen eines Ausgleichs in Geld oder anderen Finanzinstrumenten.
Zweck der Energieversorgung des Unternehmens
Damit Energieverträge nicht als Finanzinstrumente zu klassifizieren sind, lässt der IFRS 9, der Standard zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten, durchaus eine gewisse Abweichung von einem erwarteten Energiebedarf und tatsächlichem Verbrauch zu, um dennoch mit den Grundsätzen der Ausnahmeregelung für die Deckung des Energieverbrauchs des Unternehmens vereinbar zu sein. Maßgeblich ist auch der Zweck, zu dem das Unternehmen die Energie erwirbt.
Jedoch beinhaltet IFRS 9 keine ausreichenden Anwendungsleitlinien, welche den sich stetig ändernden Umfeldbedingungen der Unternehmen und der sich daraus entwickelten Vielzahl neuer Verträge zur Energieversorgung Rechnung tragen. Energie weist verschiedene Besonderheiten auf: Sie ist nicht lagerbar, sie kann nahezu ständig geliefert werden, und sie kann nach ihrer Lieferung Gegenstand von Transaktionen auf dem Kassamarkt sein. Aufgrund der genannten Besonderheiten der Ware Energie wird auch die Idee des „Storage Mechanism“ diskutiert. Ein Unternehmen kann nichtverbrauchte Energie demnach wieder an den Markt abgeben und bei späterem Bedarf erneut vom Markt beziehen.
Energieverträge – auch ein Thema für Wirtschaftsprüfer*innen
Hinter den Fragen, ob Energieverträge zu einem Nettoausgleich in Geld oder anderen Finanzinstrumenten führen können, oder ob der Zweck des Bezugs auch tatsächlich die Versorgung des Unternehmens mit Energie ist, verbirgt sich keine neue Diskussion. Doch hat diese Diskussion seit Ausbruch der Pandemie und des Krieges in der Ukraine enorm an Dynamik gewonnen. Grund sind die Herausforderungen, die sich daraus für die Unternehmen ergeben haben, einschließlich der bilanziellen Abbildung im Abschluss. Es ist wichtig, die aktuelle Diskussion im Auge zu behalten. Wird ein Energieliefervertrag als Finanzinstrument klassifiziert, ob bei Abschluss des Vertrags oder zu einem späteren Zeitpunkt, kann dies unerwartete Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung haben.
Hohe Volatilitäten der Energiepreise und die Klassifizierung in der Bewertung, die mit den umfangreichen Berichterstattungspflichten verbunden sind, können für Unternehmen Probleme mit sich bringen. Des Weiteren ist auf die bereits geführten Diskussionen hinsichtlich der höheren Anforderungen an den Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen an die Inanspruchnahme der Eigenverbrauchsausnahme hinzuweisen, denn daraus ergeben sich besondere Ansprüche an die Planung, Datenbasis und Dokumentationen der Unternehmen.
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