Finanzielle Engpässe: Droht Kliniken der Kollaps?
Wie wichtig die geplante Reform der Krankenhausfinanzierung ist, zeigt eine aktuelle Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW). Die Zukunftsaussichten der Krankenhäuser sind demnach stark gefährdet. Das hat auch Auswirkungen auf die bevorstehende Prüfungssaison.
Kommt die geplante Strukturreform des Gesundheitsministeriums zu spät für die deutschen Krankenhäuser? Für einige schon, dürfte die ernüchternde Antwort lauten. So waren bereits vergangenes Jahr 38 Großinsolvenzen im Gesundheitssektor zu beklagen – und damit mehr als in allen anderen Branchen Deutschlands. Zudem rechnet die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) dieses Jahr keinesfalls mit einer Trendumkehr dieser Entwicklung. Im Gegenteil könnten sich die Krankenhaus-Insolvenzen 2024 laut DKG sogar im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln.
Ob es so weit kommt, lässt sich aus heutiger Sicht nicht verlässlich prognostizieren. Fest steht aber, dass sich die schwierige Marktlage auf die kommende Prüfungssaison auswirken wird. Das geht aus dem gerade erschienenen IDW Positionspapier „Krankenhausfinanzierung auf dem Prüfstand“ hervor. Laut IDW-Autor*innen wird demnach vor allem die Frage des „Going Concerns“, also des Fortbestands des jeweiligen Klinikums an Bedeutung gewinnen. Treten im Rahmen des Jahresabschlusses Zweifel an der liquiden Tragfähigkeit eines Krankenhauses auf, sind die Prüfer*innen verpflichtet, diese im Bestätigungsvermerk aufzunehmen. Im Extremfall müssen sie sogar das Testat versagen.
Ein eingeschränktes oder sogar versagtes Testat kann zu einem starken Vertrauensverlust der Stakeholder eines Klinikums führen. Doch wie realistisch ist ein solches Szenario für die deutschen Krankenhäuser? Um das einschätzen zu können, muss man verstehen, wie sich Krankenhäuser in Deutschland finanzieren und welche Faktoren die Liquidität mancher Häuser aktuell zusätzlich schwächen. Schließlich ist es wichtig zu wissen, welche Kriterien die Prüfer*innen bei ihrem Urteil über die Bestandsfähigkeit ihrer Mandant*innen leiten. Es sind genau diese Themen, die das IDW-Trendpapier aufgreift und die wir in diesem Beitrag zusammenfassen.
Wie werden Krankenhäuser finanziert?
Die Finanzierung der Krankenhäuser in Deutschland regelt seit 1972 das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Zentraler Bezugspunkt ist hierbei das Duale System. Demnach werden Investitionen, etwa für medizinische Geräte, den Ausbau der Digitalisierung, aber auch für An- und Neubauten der Krankenhäuser durch Fördermittel der Bundesländer finanziert. Die Betriebskosten, die im Rahmen der Behandlung und der pflegerischen Betreuung der Patient*innen anfallen, werden hingegen von den Krankenkassen beglichen.
Auch wenn das KHG die Länder verpflichtet, die Investitionskosten der Krankenhäuser zu tragen, stagnieren die Fördermittel aus den Landeskassen etwa seit 1992. So hat das DKG noch 2022 beklagt, dass sich die Fördersumme damit inflationsbereinigt in den vergangenen 30 Jahren nahezu halbiert habe. In der gleichen Zeit haben sich die Betriebskosten der Krankenhäuser hingegen fast verdreifacht. Laut Zahlen der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) aus dem Jahr 2022 stehen den Länderzuschüssen von 3,6 Mrd. € somit Betriebskosten von insgesamt 114 Mrd. Euro gegenüber. Die Krankenhäuser sind damit gezwungen, verstärkt Eigenmittel einzusetzen, allein um den Status quo zu halten.
Doch wie sieht es bei der Finanzierung der laufenden Kosten aus, die ja von den Krankenkassen übernommen werden? Zwei Faktoren bestimmen hier die Einnahmen der Kliniken. So erhalten diese erstens eine Vergütung im Rahmen von Fallpauschalen, deren Höhe von der Krankheitsart bzw. der Diagnose, dem Schweregrad der Erkrankung sowie den von der Klinik erbrachten Leistungen abhängt. Diese Fallschwere wird anschließend mit dem sogenannten Landesbasisfallwert (LBFW) multipliziert, der unter anderem auch Teuerungen bei den Personal- und Sachkosten berücksichtigt. Über die Höhe des LBFW verhandeln Krankenkassen und Landeskrankenhausgesellschaften in einem jährlichen Turnus für das jeweilige Folgejahr. Durch diesen Mechanismus finden aktuelle, auch inflationsbedingte Kostensteigerungen keine adäquate Berücksichtigung.
Hinzu kommen Vergütungen, die den Kliniken für die Pflege ihrer Patient*innen zustehen. Seit 2020 werden die Aufwände für die Pflege am Bett über ein gesondertes Pflegebudget vergütet – und zwar vorbildlich in der Höhe der tatsächlich entstehenden Kosten. Ziel dieser Maßnahme ist es, Berufe rund um die Pflege aufzuwerten. Schließlich haben die Krankenhäuser gerade in den vergangenen Jahren vermehrt von Bundeshilfen profitiert. So erhielten die Kliniken in der Zeit der Corona-Pandemie Zuschläge in einer Höhe von über 21 Mrd. €. Als Folge der Energiekrise hat der Bund die Krankenhäuser zudem durch Direkterstattungen von Energiemehrkosten in Milliardenhöhe unterstützt.
Inflation und Kostenexplosion: Was das für die Liquidität bedeutet
Wie steht es nun um die finanzielle Lage der Krankenhäuser? Stellt sie die aufgezeigte Mischfinanzierung des Dualen Systems auf ein solides Fundament? Eine im Dezember 2023 veröffentlichte Befragung der DKG von Allgemeinkrankenhäusern ab 100 Betten kommt jedenfalls zu diesem Ergebnis: Während 2022 etwa die Hälfte (54 Prozent) der Krankenhäuser ein negatives Jahresergebnis erzielte, prognostizieren für das Jahr 2023 mit 78 Prozent bereits drei Viertel der Kliniken einen entsprechenden Verlust. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Häuser, die von einem Jahresüberschuss ausgehen, von 35 Prozent auf 7 Prozent.
Die Treiber dieser für die Krankenhäuser so negativen Entwicklung sind vielfältig. Da ist zunächst die unzureichende Belegungssituation im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit, die zu Lasten der Einnahmeseite geht. Gleichzeitig sind aber die Kosten deutlich angestiegen, etwa durch großzügige Tariferhöhungen bei den Löhnen und Gehältern im Gesundheitssektor. Parallel dazu verzeichnen die Häuser wie andere Branchen auch krankheitsbedingte Personalausfälle, was die Auslastung mancherorts noch zusätzlich beeinträchtigt. Vor allem aber sind es die inflationsbedingten Preissteigerungen, die die Krankenhäuser belasten. Verstärkt werden diese noch durch den Preismechanismus des LBFW, der nicht das aktuelle Inflationsgeschehen, sondern das der Vergangenheit zur Grundlage seiner Berechnung macht. Im Unterschied zu Marktakteuren anderer Branchen können die Krankenhäuser nicht auf die Situation reagieren, indem sie ihre Preise erhöhen und so die gestiegenen Kosten kompensieren. Die Folge sind akute Liquiditätslücken in vielen Krankenhäusern.
Wie sich diese Liquiditätsengpässe in der Breite auswirken, lässt sich nur schwer abschätzen. Eine Analyse über die Geldmittelbestände der rund 1.900 deutschen Krankenhäuser existiert laut IDW-Paper nicht. Inwiefern die Kliniken mit Zuwendungen ihrer Gesellschafter oder mit Sonderzahlungen des Bunds rechnen können, ist ebenfalls nicht prognostizierbar. Zu dieser Ungewissheit trägt auch die geplante Krankenhausstrukturreform bei: Sie wird mit Sicherheit kommen müssen, aber wann wird es so weit sein? Auch die finalen Inhalte der Reform sind ungewiss: Bisher liegt lediglich ein Referentenentwurf vor.
Wie wirkt sich die finanzielle Lage auf den Jahresabschluss aus?
Aufgrund der Liquiditätsengpässe, in die viele Krankenhäuser bereits geraten sind und die anderen Häusern kurzfristig ebenfalls drohen, ist es absehbar, dass die Frage des Going Concerns verstärkt in den Fokus der Prüfer*innen rücken wird. So schreibt das Handelsgesetzbuch (HGB) explizit vor, dass Prüfer*innen auf Risiken hinweisen müssen, die den Fortbestand des jeweiligen Unternehmens gefährden. Der Bestätigungsvermerk umfasst somit nicht nur vergangenheitsbezogene Urteile, sondern auch solche zu existenziellen Fragen in der näheren Zukunft. Entsprechend darf sich auch der Lagebericht nicht auf einen Rückblick des vergangenen Geschäftsjahrs beschränken. Er muss vielmehr auch eine Darstellung der zukünftigen Entwicklung enthalten – mit den voraussichtlichen Chancen und Risiken, die daraus für das Krankenhaus entstehen.
Es ist die Aufgabe der Prüfer*innen, zu kontrollieren, ob der Lagebericht diesen Anforderungen entspricht. Gleichzeitig haben die Prüfer*innen die Aussagen und Informationen der Geschäftsführung im Lagebericht dahingehend zu beurteilen, ob die Fortbestehensprognose zweifelsfrei gegeben ist. Die IDW-Autor*innen weisen in diesem Zusammenhang auf einige der zentralen Punkte des Prüfungsstandards IDW PS 270 hin, die die Abschlussprüfer*innen zu dem Schluss führen könnten, dass der Fortbestand eines Krankenhauses gefährdet sein könnte, darunter:
- in der Vergangenheit eingetretene oder für die Zukunft erwartete negative Zahlungssalden aus der laufenden Geschäftstätigkeit
- Kredite zu festen Laufzeiten, die sich dem Fälligkeitsdatum nähern, ohne realistische Aussichten auf Verlängerung oder Rückzahlung
- erhebliche Betriebsverluste oder erhebliche Wertminderungen bei betriebsnotwendigem Vermögen
- Unfähigkeit, Zahlungen an Gläubiger bei Fälligkeit zu leisten
- eine angespannte finanzielle Situation im Konzernverbund
- Unfähigkeit, eine benötigte Anschlussfinanzierung zu erhalten
- hohe Ausgleichsforderungen aufgrund noch nicht mit den Kostenträgern abgeschlossenen Entgeltvereinbarungen
- Personalmangel insbesondere im ärztlichen und pflegerischen Bereich, der nicht durch Neueinstellungen beseitigt werden kann
Ergibt die Analyse der Prüfer*innen, dass die Klinik ihre Geschäftstätigkeit auf absehbare Zeit nicht aufrechterhalten kann, machen sie diesen Sachverhalt in ihrem Bestätigungsvermerk transparent. Ein Hinweis auf Bestandsgefährdung im Bestätigungsvermerk kann ernste Konsequenzen für das Vertrauen der Stakeholder haben und die finanzielle Stabilität des Krankenhauses zusätzlich schwächen.
Fazit: Reform der Krankenhausfinanzierung dringend notwendig
Das System der Krankenhausfinanzierung hat zu strukturellen Finanzierungsengpässen der hiesigen Kliniken geführt. In Zeiten hoher Inflation, steigender Lohn- und Gehaltskosten und rückläufiger Auslastung kann dies viele Häuser in die roten Zahlen und manche in die Insolvenz führen. Die Kliniken sollten sich deshalb zeitnah mit Liquiditäts-Szenarien auseinandersetzen. Frühzeitige Verhandlungen mit Banken und Gesellschaftern können ebenfalls dazu beitragen, beim Jahresabschluss ein uneingeschränktes Testat zu erhalten. Die aktuelle Situation zeigt einmal mehr, dass eine Reform der Krankenhausfinanzierung dringend notwendig ist. Die Zeit bis zur Reform kommt für viele Kliniken einer Wette auf die Zukunft gleich: Schaffen sie es bis dahin, liquide zu bleiben, oder gehen sie schon vorher in die Insolvenz?
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