BaFin wendet EBA-Leitlinie zur Gesamtsanierungskapazität an
Die Finanzaufsicht BaFin übernimmt die Leitlinien zur Gesamtsanierungskapazität der European Banking Authority (EBA). Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Institute, die die Vorgaben in ihren Sanierungsplänen umsetzen müssen. Auch Wirtschaftsprüfer*innen sollten sich im Hinblick auf die Jahresabschlussprüfung mit der Thematik auseinandersetzen.
Die Sanierungsplanung ist ein zentrales Element des Risikomanagements für Banken. Sie dient dazu, die Überlebensfähigkeit des Instituts im Falle einer Krise zu sichern, und erfreut sich daher eines besonderen aufsichtlichen Interesses. Auch Wirtschaftsprüfer*innen sollten sich mit dem Thema beschäftigen, da sie im Rahmen der Jahresabschlussprüfung sicherstellen müssen, dass die Institute die neuen Anforderungen regelkonform umsetzen. Das beinhaltet die Überprüfung der Methodik zur Berechnung der Gesamtsanierungskapazität (Overall Recovery Capacity – ORC) sowie der zugrunde liegenden Annahmen und Szenarien. Es lohnt sich also, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Gesamtsanierungskapazität (ORC)
Die ORC eines Kreditinstituts ist ein Maß für die Höhe der Verluste, die ein Institut unter Stressbedingungen verkraften kann, ohne in die Insolvenz zu geraten. Zur Ermittlung der ORC muss das jeweilige Institut die Auswirkungen vordefinierter Handlungsoptionen unter Stressbedingungen auf relevante Liquiditäts- und Kapitalsanierungsindikatoren quantifizieren. Zahlreiche Faktoren bestimmen die ORC, darunter:
- Die Höhe des Eigenkapitals eines Instituts. Je höher das Eigenkapital, desto mehr Verluste kann das Institut verkraften.
- Die Qualität und die Verwertbarkeit der Vermögenswerte eines Instituts
- Die Liquidität eines Instituts, die Fähigkeit also, sich kurzfristig zu refinanzieren
- Die Höhe und die Struktur der Verbindlichkeiten eines Instituts
- Die Ertragskraft eines Instituts ist ein weiterer wichtiger Faktor. Institute mit einer guten Ertragskraft sind besser in der Lage, Verluste zu absorbieren.
Die EBA-Leitlinien zur Gesamtsanierungskapazität
Die Anwendung der EBA-Leitlinien zur Ermittlung der ORC durch die BaFin bringt einige wesentliche Änderungen für die Sanierungsplanung von BaFin-beaufsichtigten Banken mit sich:
- Harmonisierung der ORC-Berechnung: Die Leitlinien legen eine einheitliche Methode zur Berechnung der ORC in allen europäischen Instituten fest. Dies steigert die Transparenz und Vergleichbarkeit der Sanierungspläne.
- Erhöhte Anforderungen an die Sanierungsplanung: Die Institute müssen ihre Sanierungspläne jetzt noch detaillierter ausgestalten und hierbei die ORC stärker berücksichtigen.
- Stärkung der Aufsicht: Den Aufsichtsbehörden fällt die Rolle zu, die Sanierungspläne der Institute im Hinblick auf die ORC noch eingehender zu kontrollieren.
Die EBA-Leitlinien zur Gesamtsanierungskapazität bestehen aus zwei Teilen: Im ersten Teil geht es um die Festlegung des Rahmens für die Gesamtsanierungskapazität der Institute. Teil zwei widmet sich der Bewertung der ORC durch die zuständigen Behörden.
Teil eins: Festlegung des Rahmens für die Gesamtsanierungskapazität
Die Festlegung des Rahmens für die Gesamtsanierungskapazität der Institute ist unterteilt in die Abschnitte Grundkomponenten der Sanierungskapazität, Berechnung der „szenariospezifischen Sanierungskapazität“ und Ermittlung der ORC.
Zur Bestimmung der ORC ermitteln die Institute zunächst die Grundkomponenten. Im ersten Schritt stellen sie hierzu eine vollständige Liste glaubhafter und realisierbarer Sanierungsoptionen auf. Diese Liste sollte jede einzelne Maßnahme zunächst isoliert und unabhängig von spezifischen Szenarien des Sanierungsplans betrachten.
Im zweiten Schritt ermitteln die Institute eine „Bandbreite an Szenarien erheblicher makroökonomischer und finanzieller Belastung“. Die Szenarien müssen mindestens einen Sanierungsindikator verletzen und dienen so als Ausgangspunkt für die Berechnung der ORC. Auf dieser Basis entwickeln die Institute Maßnahmen, mit denen die Krisen aus den spezifischen Szenarien abgewendet werden können.
Die Maßnahmen müssen dem Geschäftsprofil des Instituts und dem aktuellen makroökonomischen Umfeld Rechnung tragen und insbesondere folgende Elemente umfassen: externe Auswirkungen der Sanierungsoptionen auf die wichtigsten Interessenträger, sowie auf das Finanzsystem, frühere Erfahrungen in der Umsetzung, den Vorbereitungsgrad, die Betriebskontinuität, finanzielle Auswirkungen auf Kapital, Liquidität, Rentabilität und das Risikoprofil, den Zeitplan und potenzielle Hindernisse.
Die Institute nutzen die vorab identifizierten Maßnahmen zur Berechnung der „szenariospezifischen Sanierungskapazität“. Diese ergibt sich aus der Summe der Auswirkungen der relevanten Sanierungsoptionen. Hierbei unterstellen die Institute einen Zeitraum von 18 Monaten für die Auswirkung der Sanierungsoptionen auf die Kapitalposition und einen Zeitraum von sechs Monaten für die Liquiditätslage. Auswirkungen, die über diesen Zeitraum hinausgehen, sind nicht in die Berechnung einzubeziehen. Die Darstellung der „szenariospezifischen Sanierungskapazität“hat zumindest die folgenden „relevanten Sanierungsplanindikatoren“ zu umfassen: Harte Kernkapitalquote, Gesamtkapitalquote, Verschuldungsquote, Mindestliquiditätsquote und strukturelle Liquiditätsquote.
Anhand der je Szenario ermittelten „szenariospezifischen Sanierungskapazität“ bestimmen die Institute die ORC-Bandbreite, welche den höchsten und niedrigsten ermittelten Wert in Bezug auf die „relevanten Sanierungsplanindikatoren“ Kapital einschließlich der Verschuldung (ORC für Kapital) und Liquidität (ORC für Liquidität) unter Verwendung der relevanten Szenarien für jede dieser Dimensionen gegenüberstellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind an die zuständigen Behörden zu übermitteln und durch diese zu bewerten.
Teil zwei: Bewertung der ORC durch die zuständigen Behörden
Die EBA-Leitlinien verpflichten die zuständigen Behörden zu überprüfen, ob die Institute die Anforderungen bei der Bewertung von Sanierungsplänen eingehalten haben – insbesondere mit Blick auf die „szenariospezifische Sanierungskapazität“. Zudem legen die Leitlinien fest, dass die Behörden selbst die Gesamtsanierungskapazität des jeweiligen Instituts berechnen müssen – die sogenannte „angepasste ORC“.
Ziel der Bewertung der „szenariospezifischen Sanierungskapazität“ ist es, zu bestimmen, ob die qualitativen und quantitativen Analysen angemessen sind. Darüber hinaus geht es darum, die Ergebnisse zu ermitteln, die sich aus der Analyse ergeben. Auf diese Weise sollen die Behörden sicherstellen, dass die ermittelte ORC im Falle einer erheblichen makroökonomischen oder finanziellen Belastung plausibel, realisierbar und ausreichend ist. Hierbei evaluieren die Behörden insbesondere vier Bereiche: Die Realisierbarkeit der Sanierungsoptionen, den Zeitrahmen für die Umsetzung, die quantitativen Auswirkungen der Sanierungsoptionen und einschränkende Faktoren bei mehreren Sanierungsoptionen.
In die Bewertung sollen darüber hinaus Peergroup-Analysen einfließen: Durch Vergleiche mit Kennzahlen ähnlicher Organisationen können die Behörden die ermittelte ORC des von ihnen geprüften Instituts besser einschätzen.
Anhand dieser Bewertung legen die Behörden die „angepasste ORC“ für das Kapital und die Liquidität fest. Zudem stellen sie eine quantitative und eine qualitative Gesamtbewertung der ORC auf. Die „angepasste ORC“ spiegelt die Bewertung der Behörden wider und sollte nicht höher als die Instituts-ORC ausfallen.
Auswirkung auf von der BaFin beaufsichtigte Institute
Betroffen von den Neuerungen sind ausschließlich Institute, deren Sanierungsplanung Belastungsszenarien und somit die Ermittlung der ORC umfassen. Die Sanierungsplanung ist anlassbezogen, jedoch zumindest jährlich zu aktualisieren. Auf diese Weise müssen die neuen Anforderungen bereits dieses Jahr in die Sanierungsplanung der Institute einfließen. Deshalb sollten sich Institute zeitnah mit den neuen Anforderungen befassen und damit beginnen, diese in ihre Sanierungsplanung zu integrieren. Bei der Erstumsetzung müssen sie mit einem zusätzlichen technischen und personellen Aufwand rechnen.
Fazit: Höherer Aufwand für Institute und Abschlussprüfer*innen
Die Anwendung der EBA-Leitlinien zur Gesamtsanierungskapazität durch die BaFin dient der europäischen Harmonisierung bei der Ermittlung der ORC. Im Ergebnis will die BaFin damit die Vergleichbarkeit der ORC zwischen den Instituten erhöhen und die Prüfung der ORC durch die Aufsichtsbehörden schärfen. Betroffen sind Institute, die im Rahmen ihrer Sanierungsplanung Belastungsszenarien heranziehen. Sie müssen die EBA-Leitlinien bei ihrer nächsten Sanierungsplanung und dann in einem jährlichen Turnus anwenden. Die Aufsichtsbehörden bewerten die Umsetzung der Institute, wobei sie auch Peergroup-Analysen mit einfließen lassen, also Analysen auf der Basis von Vergleichen mit ähnlichen Häusern. Auf dieser Basis entwickeln sie schließlich ihre „angepasste ORC“.
Da die Institute die EBA-Leitlinien bereits dieses Jahr anwenden, müssen die Abschlussprüfer*innen die neuen Anforderungen auch erstmals beim kommenden Jahresaudit der Institute dokumentieren und würdigen. Gerade im ersten Jahr der Anwendung der EBA-Leitlinien kann es für die Prüfer*innen sinnvoll erscheinen, hier einen entsprechenden Schwerpunkt bei ihrer Prüfung zu setzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist ein anhaltender Dialog zur konkreten Umsetzung der Neuerungen zwischen den Instituten, den Prüfer*innen und der Aufsicht zu erwarten.
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