Audit von Start-ups: Auf Sneakers zum validen Prüfungsbericht

Werte & Vision
18. September 2024

Start-ups zeichnen sich durch flache Hierarchien, flexible Arbeitsweisen und jede Menge Dynamik aus. Das kreative Chaos stellt Prüfer*innen bei der Abschlussprüfung aber oft vor große Herausforderungen. Drei Experten zeigen, wo die Fallstricke lauern und wie sich dennoch eine valide Abschlussprüfung durchführen lässt.

Was unterscheidet Start-ups von anderen Mandantengruppen?

Maximilian Ditting: Im Vergleich zu etablierten Unternehmen ist es vor allem die deutlich andere Kultur, die in den meisten Start-ups herrscht. Es dominiert ein lockerer Umgangston über die ohnehin flachen Hierarchien hinweg. Oft sind die Teams äußerst divers und sehr international aufgestellt. In der Regel setzen die Start-ups zudem stark auf Flexibilität und auf agile Arbeitsweisen. Ein bisschen produktives Chaos darf natürlich auch nicht fehlen. So sind die internen Prozesse oftmals nicht ausgereift und etablierte Reportingstrukturen, wie man sie etwa aus der Industrie kennt, kommen nur in seltenen Fällen vor. Dafür stößt man in aller Regel auf eine breite Offenheit gegenüber neuen Ideen und innovativen technologischen Ansätzen. Das bezieht sich auch auf neue prüferische Methoden wie beispielsweise den Einsatz moderner Datenanalyse-Software im Rahmen des Audits.

Burak Sarigül: Start-ups sind häufig auf schnelles Wachstum ausgerichtet. Die hohe Dynamik auf einem oft volatilen Terrain sorgt immer wieder auch für eine gewisse Unsicherheit. Verstärkt wird diese durch eine hohe Abhängigkeit von einzelnen Personen in den Unternehmen selbst, aber auch durch die Venture Capital-Gesellschaften oder Business Angels außerhalb der Organisation. Die Finanzierung der schnellen Expansion ist oftmals nicht gesichert, eine zu geringe Kapitalausstattung und ein negativer Cashflow sind vor allem in der Anfangsphase der jungen Unternehmen schon fast der Normalfall. Somit steht das Thema „Cash-Flow und Finanzierung” bei Start-ups regelmäßig auf der CFO-Agenda.

Wie wirken sich die Unterschiede auf Finance-Prozesse aus?

Burak Sarigül: Bei Start-ups liegt der Fokus meistens auf den Bereichen Product und Operations, um erfolgreich zu wachsen. Oftmals müssen Start-ups das technische Know-how ihrer neuen Geschäftsmodelle erst entwickeln. Je nach Geschäftsmodell unterliegt dieses zudem einem ständigen Wandel, was die Sache nicht einfacher macht. Finance-Prozesse werden daher meistens an externe Steuerberater ausgelagert. Je nach Reifegrad werden die ausgelagerten Prozesse dann später wieder mit viel Kraft ins Unternehmen zurückgeholt. Generell setzen Start-ups stark auf die Expertise von Steuerberater*innen, auch Rechtsanwält*innen und Wirtschaftsprüfer*innen sind gerne gesehen. Bei der Bereitschaft, harte und enge Deadlines einzuhalten, sehen wir im Übrigen keinen Unterschied zu anderen Mandantengruppen. Die Start-ups sind durch die Zusammenarbeit mit ihren Investoren, meist Private Equity- oder Venture Capital-Häuser, daran gewöhnt, dass sie pünktlich liefern müssen.  

Nicht alle Start-ups sind gleich – was macht die Unterschiede aus?

Maximilian Ditting: Als Wirtschaftsprüfer*in bekommt man es bei Start-ups in der Regel mit Unternehmen verschiedener Reifegrade zu tun. Während manche gerade erst ein skalierbares Geschäftsmodell entwickeln, verfügen andere bereits über ein robustes Business auf der Basis etablierter und funktionierender Prozesse. Auch die unterschiedlichen Finanzierungsarten und der Einfluss, den die Kapitalgeber*innen auf das Unternehmen ausüben, führen zu einer starken Diversität der Strategien und Unternehmenskulturen in der Start-up-Szene. Weiterhin sind es das Marktumfeld und die Branche, die das Unternehmen und seine Strategie prägen.  

Anzüge im Schrank lassen: Gefragt sind Sneaker und Hoodys

Über was würde sich ein*e junge*r Wirtschaftsprüfer*in wohl besonders wundern, wenn er*sie es erstmals mit Ihrer Mandantengruppe zu tun bekäme?

Burak Sarigül: Darüber, dass er*sie Anzüge beziehungsweise Business-Outfits in der Regel zuhause im Schrank lassen kann. Gefragt sind stattdessen Jeans, Hoody und Sneakers. Beim ersten Gespräch wird dann meist direkt zum „Du“ gewechselt, wenn es nicht ohnehin in Englisch stattfindet. Und statt Wasser, Tee und Kaffee bekommen Gäste in der Regel eher Cola oder Mate angeboten. Wenn es Kaffee gibt, dann natürlich nachhaltig angebauten und fair gehandelten.  

Was ist in prüferischer Hinsicht das Besondere bei Start-ups?

Nils Lempart: Die Prüfer*innen müssen sich darauf einstellen, dass das Ergebnis häufig auch mal negativ ist. Das liegt daran, dass dem angestrebten dynamischen Wachstum auf der einen Seite hohe Anfangsinvestitionen auf der anderen Seite gegenüberstehen. Für die Prüfer*innen gilt es daher, die Annahmen und Prämissen, auf denen sich Budgets und Forecasts gründen, kritisch zu würdigen. Um zu beurteilen, ob diese begründet und realistisch sind, empfiehlt sich auch die Gegenüberstellung mit einer peer group, also der Vergleich von zum Beispiel Kennzahlen mit denen anderer, ähnlicher Unternehmen.

Auf welche Methoden und Prüfungstechniken kommt es an, wenn man ein Start-up auditiert?

Nils Lempart: Auch Start-ups werden risikoorientiert geprüft. Die Wirtschaftsprüfer*innen müssen hierbei die Komponenten des Prüfungsrisikos einzeln würdigen und gesammelt einschätzen. In diesem Zusammenhang zeigt sich immer wieder, dass insbesondere das Kontrollrisiko im Start-up-Umfeld höher einzuschätzen ist. Hierbei soll beurteilt werden, ob die internen Kontrollsysteme eines Unternehmens so aufgestellt sind, dass sie wesentliche Fehler im Jahresabschluss verhindern beziehungsweise aufdecken und korrigieren können. Das geht aber nur dann, wenn ein Kontrollumfeld nicht nur existiert, sondern auch hinreichend dokumentiert ist, denn nur so ist eine Beurteilung durch die Wirtschaftsprüfer*innen möglich. Beides ist bei Start-ups aufgrund der Größe und der Kapazitäten nur selten der Fall.

Burak Sarigül: Bei der Prüfung gilt das Motto „Know Your Client“ – kenne das Geschäftsmodell und verstehe es. Das ist im Start-up-Umfeld keinesfalls trivial. Denn die Produkte sind meist sehr komplex, und es bedarf oftmals eines gewissen technischen Verständnisses, um zu verstehen, wie damit Umsatz realisiert wird. Da viele Start-ups stark technologiegetrieben und Geschäftsprozesse somit oftmals vollständig digitalisiert und automatisiert sind, bietet sich gegebenenfalls der Einsatz von Datenanalyse-Tools bei der Prüfung an. Die Einbindung von Expert*innen für einen IT-Audit kann entsprechend sinnvoll sein.

Gründer*innen haben beim Audit oft mehr Fragen als Antworten

Wo lauern die größten Stolperfallen bei der Prüfung?

Nils Lempart: Erste Ansprechpartner*innen bei der Prüfung von Start-ups sind in der Regel neben der Geschäftsführung die Gründer*innen selbst. Das ist einerseits spannend, denn oft bekommt man es mit innovativen Denkweisen zu tun. Anderseits ist das Zeitbudget, das die Gründer*innen für die Zusammenarbeit beim Audit zur Verfügung stellen können, oftmals sehr begrenzt. Da die Gründer*innen teilweise nur wenig Erfahrung mit Jahresabschlussprüfungen haben, besteht oft ein gewisser Abstimmungsbedarf, der wertvolle Zeit kosten kann. Nicht selten finden sich Prüfer*innen in einer Situation wieder, in der die Mandanten mehr Fragen als Antworten für sie haben. Hier gilt es dringend darauf zu achten, die prüferische Unabhängigkeit zu wahren. Der Austausch sollte auf keinen Fall den Charakter eines Beratungsgespräches bekommen.

Ein Problem können auch die Unterlagen sein, welche der Mandant zur Verfügung stellt. Wie gesagt, viele Start-ups verzichten aufgrund ihrer Größe zunächst auf festgelegte Prozesse, Reportingstrukturen und klare Verantwortlichkeiten. Dadurch kann aber die für die Prüfer*innen so wichtige Qualitätssicherung der Dokumente in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein zu unkritisches Vertrauen in die Validität der Unterlagen ist aber genauso wenig zu empfehlen wie ein notorisches Infragestellen aller prüfungsrelevanten Unternehmensdaten.

Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Prüfer*innen beim Blick auf die Bilanzen der Start-ups?

Nils Lempart: Wer jung ist, darf Fehler machen und macht Fehler, das ist normal. Leider gilt das aber oftmals auch in Bereichen, wo nur eine sehr eingeschränkte Fehlertoleranz zulässig ist: bei der Aufstellung der Bilanz. Vor allem bei komplexen Sachverhalten ist eine gesteigerte Fehleranfälligkeit in den Bilanzen von Start-ups festzustellen. Besonders kritisch sollten Prüfer*innen daher auf die Buchung von Stock Option Plans für Mitarbeiter*innen und M&A-Transaktionen schauen, auf die Buchung von Firmenübernahmen oder Zusammenschlüsse also. Bei Akquisitionen treten beispielsweise immer wieder Fehler in der Kaufpreisallokation und Herleitung des Goodwill und den damit verbundenen Abschreibungen, beziehungsweise Wertberichtigungen, auf. Bei allgemeinen Transaktionen ist es wichtig, zu hinterfragen, ob diese auch zu marktüblichen Preisen abgewickelt wurden. Vor allem dann, wenn eine Person an der Transaktion beteiligt war, die mit dem Unternehmen oder den Verantwortlichen in einer persönlichen Beziehung steht.

Burak Sarigül: Ein weiteres Thema können selbsterstellte immaterielle Vermögensgegenstände sein, etwa die Entwicklung einer Online-Plattform. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich die damit in Verbindung stehenden Entwicklungskosten aktivieren. Das führt zu potenziell besseren Darstellungen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie des EBITDA.

Herr Lempart, Herr Ditting, Herr Sarigül, vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview ist Teil einer Serie über verschiedene Mandantengruppen in der Wirtschaftsprüfung. Expert*innen von Forvis Mazars berichten in diesem Rahmen über die speziellen Anforderungen der Mandanten, prüferische Besonderheiten und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Persönlichkeiten. Bisher erschienen:

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