„Wir brauchen ein Risikobewusstsein für den Einsatz von KI“

Werte & Vision
15. Oktober 2024

Künstliche Intelligenz (KI) wird wissensbasierte Tätigkeiten stark verändern. Für Wirtschaftsprüfer*innen reicht es dabei nicht aus, sich nur die Handhabung neuer KI-Tools anzueignen. Aufgrund ihrer hohen Verantwortung müssen sie auch ein Risikobewusstsein entwickeln. Laut KI-Experte Timo Husemann sollte das schon während der Ausbildung entstehen.

Inwiefern sind Wirtschaftsprüfer*innen auf den Wandel ihres Berufs durch KI eingestellt?

Timo Husemann: Das Interesse an KI und entsprechenden Weiterbildungsmöglichkeiten scheint bei den Wirtschaftsprüfer*innen relativ hoch zu sein. Darauf deutet schon das Programm des Jahreskongresses der Wirtschaftsprüfer vom September 2024 hin. Auf dem größten Event der Branche war das Thema KI allgegenwärtig, und es hat zahlreiche Seminare und Veranstaltungen dazu gegeben. Auch bei den Weiterbildungsprogrammen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nimmt KI einen immer größeren Stellenwert ein. Was müssen Abschlussprüfer*innen beim Einsatz von KI beachten? Wie funktioniert Prompt Engineering, also das effiziente Steuern der KI, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen? Das sind die Fragen, die sich aktuell viele in den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften stellen.

Wird das Thema auch schon in Studium und Ausbildung vermittelt?

In der Ausbildung werden angehende Wirtschaftsprüfer*innen noch wenig auf den Einsatz von KI vorbereitet. Dabei ist das frühzeitige Erlernen des richtigen Umgangs mit der Technik von zentraler Bedeutung. So ist generative KI aus dem Lernalltag der meisten Student*innen schon heute kaum mehr wegzudenken. Das Bayerische Forschungsinstitut für digitale Transformation (Bidt) hat in einer Studie ermittelt, dass drei Viertel der Lernenden KI bereits einsetzen. Dabei hat sich gezeigt, dass nur rund die Hälfte versteht, wie die Technologie eigentlich funktioniert. Noch alarmierender ist es, dass laut Studie weniger als zwei von drei Schüler*innen und Student*innen die Ergebnisse der KI nutzen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Warum ist das so wichtig?

Die Antworten vieler Sprachmodelle sind heute teilweise noch sehr oberflächlich. Gerade bei spezifischen Fragestellungen im Studium sind die KI-Modelle daher oftmals nicht die erhofften Effizienzbringer. Noch wichtiger ist es, bei den durch die KI generierten Ergebnissen immer auch das Risiko der Halluzinationen zu beachten. Hierunter versteht man die Möglichkeit, dass die KI Fehler macht und Antworten liefert, die schlichtweg nicht den Fakten entsprechen. Aus diesem Grund sollte der Einsatz von KI grundsätzlich von einem Menschen verantwortet werden, der die Ergebnisse auf ihre Richtigkeit überprüft beziehungsweise diese hinterfragt. Damit Menschen dazu in der Lage sind, müssen sie aber ein Verständnis von der Arbeitsweise der großen Sprachmodelle sowie generativer KI entwickeln. Auch um die generellen Risiken beim Einsatz von KI einschätzen zu können, ist ein solches Verständnis wichtig. Die Bidt-Studie hat gezeigt, dass wir hier noch erheblichen Nachholbedarf haben.

Was bedeuten diese Risiken für den Einsatz der Technologie in der Wirtschaftsprüfung?

Sie zeigen, dass es bei Fortbildungen und Schulungen nicht allein um funktionales Know-how gehen kann. Vielmehr ist es genauso wichtig, ein Risikobewusstsein für den Einsatz von KI-Tools zu schaffen. Das gilt umso mehr in Berufsfeldern mit einer so hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz wie der Wirtschaftsprüfung. Den Prüfer*innen sollte klar sein, wie sie die Techniken richtig einsetzen, für welche Fragestellungen sie geeignet sind, wie sie die Ergebnisse validieren können und auf welche Aspekte sie bei der jeweiligen KI besonders achten müssen. Analog zu ihrer generellen Medienkompetenz sollten die Wirtschaftsprüfer*innen zudem ein Verständnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen beim Einsatz von KI erwerben. Beispielsweise sollte ihnen klar sein, dass sie mit einem kostenlosen Privat-Account keine sensiblen Mandanten-Daten auf einer KI-Plattform einstellen dürfen. Aber auch bei der Verwendung von KI-generierten Ergebnissen sind rechtliche Aspekte zu beachten.

Wo kommt KI bei der Abschlussprüfung bereits zum Einsatz?

Der Einsatz von KI kennt in meinen Augen keine Grenzen, so können Rechercheaufgaben und auch Prüfungshandlungen mit KI zunehmend automatisiert werden. Die meisten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben entsprechende Transformationsprozesse eingeleitet und befassen sich mit dem Einsatz der Technologie. Forvis Mazars wendet KI beispielsweise bereits an, um die Prüfung von Jahresabschlussanhängen oder Lageberichten in Teilen zu automatisieren. Zudem nutzt Forvis Mazars einen internen Chatbot für Recherchen in internen Dokumenten zur Prüfungsmethodologie oder in anderen Handbüchern und Anleitungen. KI ist zudem hilfreich, um Verträge auszulesen oder andere Schriftstücke zu analysieren.

Wie wird die Entwicklung weitergehen?

Aus meiner Sicht haben generative KI und große Sprachmodelle in der Wirtschaftsprüfungsbranche ein großes disruptives Potential. Vielleicht wird die Technologie sogar die Verrechnungsmodelle der Wirtschaftsprüfung ändern. Mit Blick auf die zunehmenden Anforderungen der Gesellschaft an die Wirtschaftsprüfung in Zeiten des Fachkräftemangels könnte KI eine Chance sein, dringend benötigte Effizienzgewinne in die Praxis umzusetzen.

Warum sollte die KI einen Einfluss auf die Verrechnungsmodelle haben?

Die Wirtschaftsprüfer*innen rechnen ihre Leistungen nach Stunden ab. Durch den Einsatz der KI wird sich die Effizienz der Prüfer*innen aber erhöhen. Das könnte unter dem Strich zu weniger berechneten Stunden und so zu geringeren Honoraren führen. Andererseits investieren die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften derzeit intensiv in die neue Technologie und müssen diese Investments auch an ihre Mandanten weitergeben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht auszuschließen, dass man sich die Verrechnungsmodelle auf lange Sicht noch einmal ansehen muss.

Wie wird sich der zunehmende Einsatz von KI auf den Arbeitsalltag von Wirtschaftsprüfer*innen auswirken?

Er wird die Art und Weise ändern, wie junge Wirtschaftsprüfer*innen den Berufsalltag wahrnehmen. In Zukunft werden diese weniger Zeit für Detailstichproben oder zum Lesen langer Verträge aufwenden. KI-Modelle werden Arbeitsabläufe vereinfachen, beschleunigen und effizienter machen. Für die Wirtschaftsprüfer*innen wird es vor diesem Hintergrund zunehmend wichtiger werden, die richtigen Fragen an Chatbots zu stellen. Hierbei wird es ihre Aufgabe sein, den Gesamtkontext nicht aus dem Blick zu verlieren. Zudem ist es unabdingbar, dass sie das angesprochene Risikobewusstsein entwickeln und entsprechend handeln.

Welchen Rat geben Sie angehenden und etablierten Wirtschaftsprüfer*innen vor dem Hintergrund der KI-Entwicklung? 

Insbesondere Chatbots werden gerade zu einer Basistechnologie und schon bald zum Arbeitsalltag gehören wie E-Mails oder Excel. Mein Rat ist daher: Bleibt offen, probiert die verschiedenen Technologien aus, verliert dabei aber nie die kritische Distanz. Trotz des Fortschritts seid Ihr es, die die Verantwortung tragt.

Herr Husemann, vielen Dank für das Gespräch.

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