Audit im Healthcare-Bereich: „Blut sollte man sehen können“
Bei der Jahresabschlussprüfung von Krankenhäusern und anderen Einrichtungen im Healthcare-Sektor sind Branchen-Know-how und Empathie gefragt. Wie man die Herausforderungen am besten meistert, erklärt Mark T. Müller, Senior Manager bei Forvis Mazars, im Interview.
Sie betreuen als Abschlussprüfer Mandanten aus dem Bereich „Healthcare“ – über welche Unternehmen reden wir hier genau?
Mark T. Müller: Bei Forvis Mazars sind es in erster Linie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen, die in diesen Bereich fallen.
Was unterscheidet diese Mandanten von anderen?
Wenn wir einmal die Krankenhäuser herausgreifen, so ist es sicherlich zuallererst eine gewisse Emotionalität, die die Gesellschaft diesen Einrichtungen entgegenbringt: Jeder war schon einmal in einem Krankenhaus und verbindet persönliche, oft prägende Erfahrungen damit. Das führt mitunter dazu, dass auch wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen oft sehr emotional in den Medien diskutiert werden. Die Schließung einer deutlich unterausgelasteten, hoch defizitären Station für Geburtshilfe mag sinnvoll sein – doch möglicherweise sehen das werdende Eltern ganz anders.
Über was würde sich ein*e junge*r Wirtschaftsprüfer*in wohl besonders wundern, wenn er*sie es erstmals mit Ihren Mandanten zu tun bekäme?
Sicherlich über die Bewertung unfertiger Leistungen zum Jahresende und die Verbuchung öffentlicher Fördermittel für Investitionen. Auch der Prozess zur Erstellung von Krankenhausrechnungen ist gewöhnungsbedürftig – es gibt ja keine Lieferscheine oder andere Nachweise der Patient*innen darüber, dass eine Leistung erbracht worden ist.
Was verstehen Sie unter „unfertigen Leistungen“?
Das sind Leistungen, mit deren Erbringung eine Einrichtung zwar bereits begonnen hat, die aber bis zum Bilanzstichtag noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Nehmen wir als Beispiel einen Patienten, der über den Bilanzstichtag hinaus im Krankenhaus behandelt wird: Die bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen werden dann als unfertige Leistung erfasst.
Vom eigentlichen Krankenhausalltag bekommen die Prüfer*innen sicherlich nichts mit, oder?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. So zeigt sich bei der Inventurbeobachtung oft, dass Einiges direkt im OP gelagert ist. Will der*die Prüfer*in die entsprechenden Objekte nachzählen, muss er*sie sich erstmal komplett umziehen – ohne OP-Hose, OP-Shirt und -Kittel kommt man schließlich nicht in diesen Raum hinein. Und Blut sollte man dann auch sehen können.
Also kein Job für schwache Nerven. Sicherlich braucht man die auch beim Umgang mit den „Halbgöttern in Weiß“ …
Die Halbgötter in Weiß mag es noch vereinzelt geben, in den meisten Krankenhäusern sind Ärzt*innen aber inzwischen wirtschaftlich handelnde Manager*innen geworden, die die knappen Ressourcen im Sinne ihrer Patient*innen bestmöglich einsetzen.
Krankenhäuser aktuell unterfinanziert und liquiditätsschwach
Wie steht es denn um die finanzielle Situation der Einrichtungen?
Im Moment sind viele Krankenhäuser finanziell angeschlagen und liquiditätsschwach. Das hängt auch oft mit den Besonderheiten der Krankenhausfinanzierungen zusammen: Krankenhäuser müssen derzeit die Kosten für ihr Pflegepersonal teilweise vorfinanzieren und bekommen diese oft erst Jahre später durch die Kostenträger ausgezahlt.
Sie haben die Verbuchung öffentlicher Fördermittel angesprochen. Was macht dieses Thema so kompliziert?
Der Gesetzgeber fordert Bescheinigungen des*der Jahresabschlussprüfer*in für nahezu jede Art der Förderung sowie für diverse Leistungsbereiche der Krankenhäuser – wenn wir die Jahresabschlussprüfungen abgeschlossen haben, erstellen wir noch bis in den Sommer hinein diese Bescheinigungen.
Was ist darüber hinaus wichtig bei der Prüfung des Jahresabschlusses von Krankenhäusern?
Grundsätzlich benötigt man ein hohes Maß an Branchen-Know-how und Kenntnisse in der Rechnungslegung von Krankenhäusern. Die Regelungen der Krankenhausfinanzierung sind enorm komplex und teilweise auslegungsbedürftig.
Gibt es spezielle Methoden oder Prüfungstechniken, mit denen man sich auskennen sollte?
Das Herzstück der Rechnungslegung eines Krankenhauses ist die Berechnung der Krankenhauserlösausgleiche. Diese sollte man als gute*r Krankenhausprüfer*in auch selbst beherrschen, um einen Erwartungswert für das gebuchte Ergebnis bilden zu können. In diesem Bereich haben wir auch regelmäßig wesentliche Prüfungsfeststellungen.
Welchen Fehler sollte man bei Ihren Mandanten auf keinen Fall machen?
Ich denke, man sollte keinesfalls den zeitlichen Aufwand der Erlösprüfung unterschätzen. Die dauert mindestens drei Tage, schneller wird man auch mit viel Erfahrung nicht.
Schicksale von Betroffenen oft sehr belastend
Welche Haftungsrisiken sind bei Ihren Mandanten zu beachten – etwa mit Blick auf mögliche Patientenschädigungen? Und was bedeutet das für die Rückstellungen?
Die meisten Krankenhäuser haben heutzutage eine Betriebshaftpflichtversicherung, so dass die ganz schweren Patientenschädigungen hierüber abgedeckt sind. Allerdings gibt es vielerorts noch alte Haftungsfälle, oft aus dem Bereich der Geburtshilfe. Wenn man die Schicksale der betroffenen Kinder in den Akten liest, nimmt einen das als Prüfer*in natürlich auch emotional mit.
Die Bewertung der entsprechenden Rückstellung ist sehr herausfordernd. Zunächst stellt sich die Frage, welche Zahlungen das Krankenhaus an den*die Geschädigten leisten muss. Das sind meist hohe Beträge für Unterkunft und Pflege sowie für Rentenzahlungen. Dann gilt es einzuschätzen, wie lange der*die Betroffene wohl noch leben wird. Hier können auf Grund der jeweils sehr individuellen Schadensbilder auch die Aktuar*innen nur sehr eingeschränkt helfen.
Was bedeutet die anstehende Reform der Krankenhausfinanzierung für die Prüfer*innen?
Die momentan laufende Krankenhausstrukturreform beschäftigt die gesamte Branche und wirft zahlreiche Fragen auf: Welche Leistungen darf welches Krankenhaus demnächst noch erbringen? Wie wird die Finanzierung aussehen? Was bedeutet es für die einzelnen Häuser, wenn Leistungen vermehrt ambulant erbracht werden sollen? Als Prüfer*innen müssen wir einschätzen, welche Auswirkungen die Folgen der Reform beispielsweise auf die Bewertung des Anlagevermögens haben. So ist das Bettenhaus wahrscheinlich weniger wert, wenn es eine Station stilllegen muss. Eine zentrale Frage betrifft auch den Going Concern: Wird das Krankenhaus seinen Betrieb überhaupt fortführen können?
Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen zur Krankenhausstrukturreform und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftsprüfung finden Sie hier.
Dieses Interview ist Teil einer Serie über verschiedene Mandantengruppen in der Wirtschaftsprüfung. Expert*innen von Mazars berichten in diesem Rahmen über die speziellen Anforderungen der Mandanten, prüferische Besonderheiten und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Persönlichkeiten. Bisher erschienen:
Private Equity Audit: Vom Deal zum Exit
Audit von EU-PIEs: Die Königsdisziplin der Wirtschaftsprüfung
Inhabergeführte Unternehmen: Auf das große Ganze kommt es an
Audit von Versicherungen: Teamwork wird großgeschrieben
Audit von Banken: Im Netz der Regularien
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