Das Wirtschaftsprüfer-Examen: ein echter Härtetest?
Drum prüfe, wer selbst prüfen will. Lässt sich das Examen zum Wirtschaftsprüfer so flapsig erklären? Was viele vielleicht nicht wissen: Das WP-Examen zählt zu den härtesten Prüfungen im deutschen Bildungswesen. Wer sich dafür anmelden will, benötigt ein abgeschlossenes Studium und relevante Berufserfahrung. Gleichzeitig ist das Lernpensum über Monate extrem hoch. Hinzu kommen kostenpflichtige Vorbereitungskurse.
Trotzdem wollen immer mehr junge Menschen Wirtschaftsprüfer*in werden. Das Interesse steigt, bestätigt die für das Examen zuständige Wirtschaftsprüferkammer und verweist nicht zuletzt auf die neuen Aufgaben, die sich für Prüfer*innen aus der Nachhaltigkeitsberichterstattung ergeben. 2021 wurden 1.322 Bewerber*innen zur Prüfung zugelassen, ein Anstieg um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch 2022 setzt sich die Entwicklung steigender Kandidat*innenzahlen fort.
Eine, die diesen „Härtetest“ vor Kurzem bestanden hat, ist Lydia Gogolok aus der Service Line Audit. Gemeinsam mit Heiko Wittig, der als Partner bei Mazars den Bereich Learning betreut, haben wir sie zu den Herausforderungen des WP-Examens befragt.
Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Wirtschaftsprüfer-Examen, liebe Frau Gogolok. Hand aufs Herz: Wie groß war die Herausforderung?
Lydia Gogolok: Am Ende war ich einfach nur froh, dass es vorbei war – dass es dann geklappt hat, war einfach großartig. Ein toller Glücksmoment für mich. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich zwischendrin schon mal an mir gezweifelt, weil es so viel Lernstoff ist. Das Gute war, dass mir insbesondere im Bereich Prüfungswesen meine Berufserfahrung sehr geholfen hat. Mit steigendem Lernfortschritt habe ich mir dann immer mehr zugetraut, dass ich es schaffen kann.
Herr Wittig, Sie sind ein „alter Hase“ im Beruf. Ihr WP-Examen liegt fast 20 Jahre zurück. Können Sie sich noch erinnern, ob Sie damals ähnlich empfunden haben wie Ihre Kollegin heute?
Heiko Wittig: Ja, das war bei mir sehr ähnlich. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese intensive Zeit – ohne die Unterstützung und das Verständnis meiner Partnerin und meiner Familie sowie der Freunde hätte das nicht funktioniert.
Ihre Erfahrungen ähneln sich so stark – und doch hat sich das WP-Examen in den letzten Jahren deutlich verändert. Wo genau liegen die Unterschiede?
Wittig: Der Stoffumfang ist im Laufe der Jahre immer weiter angewachsen. Insbesondere die Themen IFRS und Prüfung der IT-Systeme haben eine ganz andere Bedeutung bekommen. Im Gegenzug haben sich auch die Möglichkeiten, das Examen abzulegen, verändert. Eine abgeschlossene Hochschulausbildung und eine praktische Ausbildung (bzw. Berufserfahrung) sind heute Zugangsvoraussetzungen. Das eigentliche Examen umfasst dann vier Themenblöcke mit insgesamt sieben Klausuren und jeweils einer mündlichen Prüfung.
In vielen Lebensläufen kommt das Steuerberater-Examen vor dem WP-Examen. Warum?
Wittig: Stimmt. Früher war der klassische Weg, den Umfang des Stoffs bzw. die Anzahl der zu einem Zeitpunkt zu schreibenden Klausuren über das StB-Examen zu entzerren. Durch die verschiedenen sogenannten „Examensstudiengänge“ kann man heute sowohl den betriebswirtschaftlichen als auch den juristischen Teil schon angerechnet bekommen. Wer dann noch vorgelagert das StB-Examen ablegt, braucht „nur noch“ die beiden Klausuren im Bereich Prüfungswesen zu schreiben. Relativ neu ist auch, nämlich seit 2019, dass man über die Modularisierung direkt mit Eintritt in den Beruf starten und jeden Themenblock separat schreiben kann. Eine Kombination mit Examensstudiengängen ist ebenfalls möglich.
Das ist eine ganze Reihe an essenziellen Veränderungen. Warum wurde so viel reformiert?
Wittig: Weil das Examen wirklich sehr schwer und der Stoffumfang kontinuierlich angewachsen ist. Mit den Reformen wollte man den Beruf des Wirtschaftsprüfers bzw. der Wirtschaftsprüferin attraktiver machen und den Zugang verbessern.
Konnten diese Ziele erreicht werden? Immerhin scheint sich die subjektive Einschätzung – zumindest in Ihrem Beispiel, Frau Gogolok – nicht maßgeblich verändert zu haben.
Gogolok: Ich denke schon, auch wenn ich nicht davon profitieren konnte. Viele meiner Bekannten aus den Vorbereitungskursen haben mir gesagt, dass sie sich ohne die Möglichkeit der Modularisierung nicht für das WP-Examen angemeldet hätten.
Und wie ist Ihre Erfahrung aus dem Berufsalltag: Streben viele Berufsanfänger*innen das Examen an? Und vor allem: Ziehen sie es auch durch?
Gogolok: Ich habe den Eindruck, dass die wenigsten Studierenden und Bewerber*innen eine konkrete Vorstellung vom WP-Beruf haben. Die meisten wollen zunächst hineinschnuppern. Attraktiv finden viele die Möglichkeit, verschiedenste Unternehmen von innen kennenzulernen.
Wittig: Mit den ersten Eindrücken und Erfahrungen aus dem Berufsalltag kommt dann das Interesse für den Beruf und damit für das WP-Examen. Heute sehen wir, dass unsere Kolleg*innen die unterschiedlichen Möglichkeiten ganz individuell für sich nutzen: Der eine arbeitet in Teilzeit und absolviert parallel zur Arbeit ein Masterstudium, um sich vorzubereiten, die andere nutzt die Modularisierung und geht die Klausuren step by step an. Unbedingt erwähnen möchte ich, dass wir bei Mazars unsere Mitarbeiter*innen auf ihrem ganz individuellen Weg zum WP-Examen durch gezielte Fördermaßnahmen unterstützen. Die Modularisierung hilft, dass die jungen Kolleg*innen das notwendige Zutrauen entwickeln, um das Examen erfolgreich abschließen zu können.
Schauen wir weiter nach vorne: Was könnte sich in Zukunft noch ändern, um den jungen Anwärter*innen den Weg zum Examen zu erleichtern?
Wittig: Ein Knackpunkt sind stark verschulte Studiengänge. Sie erlauben es vielfach nicht, eine angemessene Praxiserfahrung schon während des Studiums zu sammeln, ohne ein Urlaubssemester nehmen zu müssen. Die getroffenen Maßnahmen sind schon richtig, müssen aber bekannter gemacht werden, damit sie die Zielgruppe erreichen. Ich persönlich würde mir mehr Medienarbeit bzw. eine entsprechend positive Medienberichterstattung wünschen.
Zumal die öffentliche Wahrnehmung nach Wirecard gelitten hat …
Wittig: Das stimmt, und daran müssen wir arbeiten. Wirtschaftsprüfung ist eine Dienstleistung, aber keine wie jede andere. Die Bereitstellung verlässlicher Unternehmenskennzahlen durch Wirtschaftsprüfer*innen ist im öffentlichen Interesse: Investoren, Kunden, Lieferanten, Behörden – alle stützen ihre Entscheidungen auf Informationen, denen sie vertrauen müssen. Mit der Rolle der Wirtschaftsprüfung ist also auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verbunden, die über das reine Zahlenwerk hinausgeht. Wir stellen Vertrauen her.
Und was erwartet diejenigen, die den Weg erfolgreich meistern, für ihre weitere berufliche Laufbahn?
Gogolok: Mit dem WP-Examen stehen einem alle Türen offen – für eine klassische Karriere in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder für eine selbstständige Berufsausübung. In der Industrie ist die Ausbildung in leitenden Funktionen ebenfalls sehr anerkannt. Allerdings kann man aktuell den Titel nicht mehr führen und fällt aus dem berufsständischen Versorgungswerk (WPV) zurück in die gesetzliche Rentenversicherung.
Wittig: Auch nach dem Examen geht das Lernen kontinuierlich weiter. In zahlreichen Projekten setzen wir uns ständig mit gesetzlichen oder regulatorischen Veränderungen in den unterschiedlichsten Bereichen auseinander. Die voranschreitende Digitalisierung trägt dazu bei, dass wir uns mit neuen Entwicklungen befassen. Und das Ganze in einem internationalen und durchaus interdisziplinären Umfeld, wo Teamarbeit großgeschrieben wird. Das WP-Examen mag ein Härtetest sein, aber einer, der sich lohnt.
Vielen Dank für das Gespräch.
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