Drei Thesen zur Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung
Mit der erstmaligen Anwendung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beginnt eine neue Ära der Unternehmensberichterstattung. Ziel ist es, Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, um auch ein vollständiges Bild der zukünftigen Unternehmensentwicklung zu vermitteln.
These 1: Die Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitsinformationen führt zu verlässlicheren Bewertungsannahmen im Jahresabschluss
Pflicht zur Erhebung verlässlicher nachhaltigkeitsbezogener Daten
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist als eigenständiges Kapitel im Lagebericht nach den Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) zu erstellen. Die ESRS umfassen rund 1.200 Datenpunkte, wobei die konkreten Angabepflichten aus den Ergebnissen der unternehmensspezifischen „Wesentlichkeitsanalyse“ abzuleiten sind.
Mit der erstmaligen Anwendung der ESRS ist eine Pflicht zur inhaltlichen Prüfung (zunächst mit begrenzter Sicherheit) verbunden. Wichtig: Auch wenn Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung übergangsweise mit unterschiedlicher Sicherheit geprüft werden, sind beide mit gleicher Sorgfalt zu erstellen.
Zusammenspiel von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung
Viele Unternehmen sehen in der Transformation zur Klimaneutralität eine klare Chance, am Standort Deutschland langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Damit steigt aber auch das Risiko, dass in der Übergangszeit sogenannte „stranded assets“ entstehen, also bilanzielle Vermögenswerte verloren gehen. Diese Gefahr ist nicht neu, war aber im Rahmen der Jahresabschlusserstellung mangels belastbarer Informationen oft wenig greifbar. Das könnte sich jetzt ändern, denn die Offenlegung von konkreten Dekarbonisierungsplänen (sofern vorhanden) zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels wird ab 2025 mit der CSRD verpflichtend. Die hieraus abzuleitenden Auswirkungen, beispielsweise auf technische Anlagen, sind dann in der Finanzberichterstattung abzubilden.
Praxisbeispiel
Viele Unternehmen haben angekündigt oder begonnen, auf eine CO2-arme Produktion umzustellen, um ein langfristiges Klimaziel zu erreichen. Ein Beispiel ist der Ersatz von Hochöfen in der Stahlindustrie durch Anlagen, die mit Wasserstoff betrieben werden.
In diesem konkreten Beispiel stellt sich die Frage nach möglichen Auswirkungen auf die bei der Bewertung von Hochöfen zugrunde gelegte Nutzungsdauer und einer möglichen außerplanmäßigen Abschreibung im Falle einer Verkürzung der planmäßigen Nutzungsdauer.
Die Vollständigkeit und Konsistenz der Abbildung nachhaltigkeitsbezogener Effekte im Abschluss nach International Financial Reporting Standards (IFRS) ist auch einer der Prüfungsschwerpunkte der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Konkret am obigen Praxisbeispiel orientiert, erwartet die BaFin bei Dekarbonisierungsplänen den zeitlichen Ablauf und die finanziellen Auswirkungen geplanter Investitionen als Angabe im IFRS-Abschluss. Diese Daten für den IFRS-Abschluss sind aufgrund der neuen Berichtspflichten nach den ESRS voraussichtlich leichter zu erheben.
Dies ist nur eines von vielen denkbaren Beispielen für die Verwendung von Informationen aus dem Nachhaltigkeitsbericht bei der Erstellung des Jahresabschlusses.
These 2: Das Vertrauen in die Unternehmensberichterstattung leidet, wenn Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung inkonsistent und widersprüchlich sind.
Worin liegt die Herausforderung?
Wie oben dargestellt, müssen die Unternehmen künftig auch auf die Konsistenz von Angaben und Annahmen zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung achten. Ist diese nicht gegeben, besteht im Nachhaltigkeitsbericht eine Pflicht dies zu erläutern.
Stellt sich beim Lesen der beiden Berichtselemente heraus, dass die geplanten Maßnahmen zur Stilllegung von Produktionsanlagen nicht mit der Bewertung der zugrunde gelegten Nutzungsdauer übereinstimmen, wäre die Glaubwürdigkeit des Jahresabschlusses beeinträchtigt.
Eine weitere potenzielle Fehlerquelle besteht im Zusammenspiel der Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung mit den Angaben nach der europäischen Umwelttaxonomie-Verordnung („EU-Taxonomie-VO“). Diese Angaben als Teil des Nachhaltigkeitsberichts gelten als das Herzstück des Aktionsplans der EU-Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Auch diese Angabepflichten gelten künftig für große Unternehmen, unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung.
Praxisbeispiel EU-Taxonomie-Verordnung
Volkswagen hat 2022 alle Aktivitäten des fahrzeugbezogenen Geschäfts als taxonomiefähig identifiziert. Das waren 254,5 Mrd. € beziehungsweise 91,1 Prozent vom Konzernumsatz. Doch wie hoch war der Umsatzanteil, der nicht nur taxonomiefähig war, sondern der auch als taxonomiekonform ausgewiesen werden konnte? Um das herauszufinden, hat das Unternehmen zunächst alle Fahrzeuge identifiziert, die einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem der sechs vorgegebenen Umweltziele leisten. Damit Volkswagen diese Fahrzeuge als taxonomiekonform einstufen konnte, musste das Unternehmen anschließend überprüfen, dass diese keinem anderen Umweltziel signifikant schaden, dass also das Prinzip DNSH (engl. „do no significant harm“) beachtet wird. Darüber hinaus musste der deutsche Autobauer sicherstellen, dass bei der Produktion entlang der kompletten Lieferkette die grundlegenden Sozial-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards eingehalten wurden („minimum social safeguards“). Ergebnis: Unter Berücksichtigung der DNSH-Kriterien und des Mindestschutzes konnte Volkswagen im fahrzeugbezogenen Geschäft Güter in einem Volumen von 26,1 Mrd. € als taxonomiekonform klassifizieren.
An diesem Beispiel zeigt sich das vielfältige Zusammenspiel von Kennzahlen des Finanzberichts mit den Angabepflichten nach der EU-Taxonomie-Verordnung. Auch die Komplexität des Themas wird durch das Beispiel deutlich – und damit die hohe Gefahr von Fehlern in diesem Bereich.
Wo besteht konkreter Handlungsbedarf?
In den ersten Jahren der Anwendung liegt eine potenzielle Fehlerquelle im Umfang und in der Komplexität der ESRS und der EU-Taxonomie-Verordnung. Hier ist ein zügiger unternehmensinterner Kompetenzaufbau erforderlich.
Grundsätzlich sind für eine fehlerfreie Berichterstattung immer ausreichende personelle Ressourcen notwendig. Darüber hinaus ist die Implementierung von Prozessen einschließlich dokumentierter (d.h. prüfbarer) interner Kontrollen zur Erhebung nachhaltigkeitsbezogener Informationen erforderlich.
Jedes Unternehmen muss ausreichende interne Kontrollen implementieren und leben, um eine fehlerfreie Berichterstattung zu ermöglichen.
Die Unternehmen sollten unbedingt auch das Denken in Silostrukturen (Finanzbuchhaltung versus Nachhaltigkeitsbericht) vermeiden. Nur unter diesen Voraussetzungen kann eine konsistente und widerspruchsfreie Unternehmensberichterstattung gewährleistet werden.
These 3: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung beeinflusst auch die Beurteilung der Unternehmensfortführung (Going Concern).
Warum ist die These provokativ?
Die These ist bewusst provokativ formuliert, um eine mögliche „gefühlte“ negative Ausstrahlung der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die Glaubwürdigkeit der Finanzberichterstattung anzusprechen.
Grundsätzlich ist ein Abschluss so lange unter der Annahme der Unternehmensfortführung aufzustellen, bis die Liquidation oder Einstellung des Geschäftsbetriebs beabsichtigt oder keine realistische Alternative mehr dazu denkbar ist. Bestehen erhebliche Zweifel an der Unternehmensfortführung, so ist dies im Abschluss/Lagebericht anzugeben. Aufgrund dieser klaren Regelung sind konkret absehbare bestandsgefährdende Risiken – auch wenn sie im Nachhaltigkeitskontext einzuordnen sind – Gegenstand der Risikoberichterstattung im Lagebericht. Bislang wurde der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens vertraut, wenn eine solide Leistungsfähigkeit abgebildet wurde und keine bestandsgefährdenden Risiken benannt wurden. Künftig könnten Aussagen im Nachhaltigkeitsbericht dennoch Zweifel an der Zukunft des Unternehmens hervorrufen.
Worin liegt das „Störgefühl“ begründet?
Geschäftsmodelle sind zunehmend disruptiven Tendenzen im wirtschaftlichen und technologischen Umfeld ausgesetzt. Dies wurde spätestens im letzten Jahr deutlich, als die hohen Energiepreise zu Insolvenzen von Traditionsunternehmen führten. Die Überlebensfähigkeit einiger Unternehmen hängt sicherlich davon ab, ob es ihnen gelingt, auf eine weniger CO2-intensive Wirtschaftsweise umzustellen. Dieser Umbau ist in der Regel mit hohen Investitionen verbunden, die häufig einen Finanzierungsbedarf nach sich ziehen. Möglicherweise hängt die Transformation auch von Zukunftstechnologien ab, die heute noch nicht verlässlich absehbar sind.
Das Vertrauen in die Zukunft wird also mehr durch ein Vertrauen in die Fähigkeit zur Transformation zur Nachhaltigkeit geprägt als durch die überwiegend vergangenheitsorientierte Finanzberichterstattung. Die Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist vergleichbar mit der Relevanz der Finanzberichterstattung.
Wie kann man dem Störgefühl entgegenwirken?
Um Vertrauen nicht nur in die Verlässlichkeit der Daten und Aussagen, sondern auch in die Verlässlichkeit der Zukunftskonzepte zu gewinnen, bedarf es des Engagements von Vorstand und Aufsichtsrat. Im Kern bedeutet dies eine Verknüpfung der Nachhaltigkeitsziele mit der Unternehmensstrategie und eine Verankerung der ESG-Risiken (Environmental, Social, Governance – Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) im Risikomanagement.
Fazit: Chancen durch glaubwürdige Berichterstattung
Die Anforderungen an die Qualität der Nachhaltigkeitsberichterstattung sind vergleichbar mit den Anforderungen an die Finanzberichterstattung. Nachlässigkeit im Zusammenspiel der beiden Berichte kann der Glaubwürdigkeit beider Berichte schaden. Der Nachhaltigkeitsbericht sollte eine nachhaltige Unternehmensführung widerspiegeln. Unternehmen, die die neuen Anforderungen als eine Aneinanderreihung von Datenpunkten betrachten, die anhand von Checklisten abgearbeitet werden können, vergeben die Chancen, die in einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsberichterstattung liegen.
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