ESEF-Block Tagging – Mission: Impossible?
Für das Geschäftsjahr 2022 sind kapitalmarktorientierte Unternehmen erstmals zu umfangreichen Auszeichnungen von Angaben im IFRS-Konzernabschluss verpflichtet. Grund sind die neuen Vorgaben im Rahmen des European Single Electronic Format (ESEF). Die Vorbereitungen in den Unternehmen und bei den Wirtschaftsprüfer*innen dazu laufen auf Hochtouren. Doch trotz intensiver Vorbereitung und Probe-Durchläufen sorgt das sogenannte „Block Tagging“ vielerorts für Diskussionen – und Stolpersteine auf dem Weg zum Konzernabschluss.
ESEF-Historie
IFRS-Konzernabschlüsse in der Europäischen Union besser vergleichen und sinnvoll maschinell auswerten zu können – das ist das Ziel des European Single Electronic Format. Seit die ESEF-Verordnung für die Geschäftsjahre ab 1. Januar 2020 hierzulande in Kraft ist, sind kapitalmarktorientierte Unternehmen deshalb nicht nur verpflichtet, ihren Jahres- und Konzernabschluss sowie den (Konzern-)Lagebericht im maschinenlesbaren XHTML-Format zu erstellen. Sie müssen zudem bestimmte von der EU definierte Daten labeln beziehungsweise mit sogenannten „Tags“ versehen.
War es in einem ersten Schritt lediglich notwendig, rund zehn Pflichtangaben zu taggen, geht die ESEF-Umsetzung in der anstehenden Saison 2022 in die nächste Runde: Mehr als 250 Elemente müssen jetzt insgesamt im IFRS-Konzernabschluss gekennzeichnet werden. Die Auszeichnung dieser – nicht mehr nur numerischen – Angaben muss als sogenanntes Block Tagging erfolgen. Leider eröffnet dieses Verfahren große, durchaus vielschichtige Interpretationsspielräume. So ist häufig noch nicht einmal klar, in welchem Fall der gesamte Absatz oder nur Teile daraus zu markieren sind. Das Beispiel zeigt: Block Tagging stellt nicht nur hohe Anforderungen an Ersteller*innen und Prüfer*innen – es legt ihnen auch diverse Stolpersteine in den Weg, die es zu umrunden gilt.
1. Stolperstein: Auslegungsfragen zu den Tags
Bei zahlreichen Block Tags treten begriffliche Unschärfen auf, andere sind nur schwer voneinander abzugrenzen. Zudem haben nur etwa 25 Prozent der von der EU definierten Tags einen eindeutigen Bezug zu einer von den IFRS geforderten Anhangangabe. Rund 75 Prozent der ESEF-Tags beziehen sich hingegen auf sogenannte „Common Practice“-Angaben. Dahinter verbergen sich Informationen, die keinen direkten Bezug zu einer spezifischen IFRS-Vorschrift haben. Es kann sich dabei um Angaben zur Erfüllung nationaler Vorschriften (z. B. Honorare für Abschlussprüfer*innen) oder auch um Best Practices zur Darstellung bestimmter Sachverhalte (z. B. Transaktionen mit nicht beherrschenden Anteilseignern) handeln. Weder das IASB noch die European Securities and Markets Authority (ESMA), die für die jährliche Aktualisierung der ESEF-Taxonomie verantwortlich ist und dabei auf die IFRS-Taxonomie des IASB zurückgreift, haben Leitlinien oder Beispiele erlassen, was unter diesen Tags konkret zu verstehen ist.
Ohne die nötige Konkretisierung bleibt ein weiter Interpretationsspielraum darüber, wie die Mehrzahl der Tags auszulegen ist. Was ist beispielsweise unter dem Tag „Angaben zu Arbeitnehmern“ zu verstehen? Müsste hier die Anzahl der Mitarbeiter*innen getaggt werden, die nach nationalen Vorschriften in Deutschland in den Anhang aufzunehmen ist? Oder wäre hierunter (auch) der Personalaufwand zu verstehen? Oder wäre das Tag vielleicht noch weiter zu fassen und würde daher auch Angaben zur (anteilsbasierten) Vergütung von Mitarbeiter*innen beinhalten?
Diesen Fragen können sich Ersteller*innen der Konzernabschlüsse auch nur bedingt nach dem Ausschlussprinzip annähern. Denn selbst dann, wenn sie eine Textpassage im Anhang bereits mit einem Tag versehen haben, scheiden die anderen Tags damit keineswegs aus. Gefordert wird stattdessen das sogenannte „Multi-Tagging“ – es führt uns direkt zum nächsten Stolperstein.
2. Stolperstein: Überlappungen von Tags
Die ESMA hat in ihren ESEF-Leitlinien eindeutig klargestellt, dass eine Textpassage des Anhangs mit allen für sie einschlägigen Tags zu labeln ist. Es besteht somit die erwähnte Multi-Tagging-Pflicht. Das macht die Auszeichnung und Prüfung der ESEF-Unterlagen nicht nur sehr unübersichtlich. Allen Betroffenen wurde bislang auch von offizieller Stelle keine angemessene Hierarchie der Tags zur Verfügung gestellt, mit der ersichtlich würde, welche Tags ggf. zusammenhängen und an welchen Stellen man von mehrfachem Tagging ausgehen kann. Stattdessen sind die Tags in der ESEF-Verordnung lediglich alphabetisch sortiert.
Mittlerweile gibt es immerhin privatwirtschaftliche Bestrebungen, entsprechende Hierarchien zu erarbeiten. So hat beispielsweise die Non-Profit-Organisation XBRL Europe im November 2022 eine Hierarchie veröffentlicht, die jedoch nicht von der ESMA bestätigt oder angenommen wurde. Das ist bedauerlich, denn eine solche Hierarchie würde es Ersteller*innen und Prüfer*innen erleichtern, logische Fehler beim Multi-Tagging auszuschließen. Zudem würden Inhalte einzelner Tags durch die hierarchische Differenzierung noch einmal deutlich besser fassbar.
3. Stolperstein: Nationale Besonderheiten durch das IDW
Einen Sonderweg in Europa geht hierzulande das Institut der Wirtschaftsprüfer. Das IDW kommt zu dem Schluss, dass Informationen wie Tabellen, Diagramme und Grafiken als strukturierte Information gesondert getaggt werden müssen. Zwar räumt das IDW ein, dass sich diese Vorschrift nicht explizit aus der ESEF-Verordnung ergibt. Gleichwohl leite sich eine solche Herangehensweise aus dem übergeordneten Sinn und Zweck des einheitlichen elektronischen Berichtsformats ab. Dieser liege darin, die Informationen des IFRS-Konzernabschlusses gleichermaßen visuell menschenlesbar wie auch sinnvoll maschinell auswertbar zu machen. Somit seien beispielsweise Tabellen mit einem Tabellen-Tag zu kennzeichnen, um in der maschinellen Auswertung deutlich zu machen, dass an dieser Stelle im Original eine Tabelle vorliegt. Wird eine entsprechende Kennzeichnung unterlassen, müsse das als Verstoß gegen die ESEF-Verordnung gewertet werden. Um im Einklang mit dem deutschen Berufsstand zu handeln, müssen deutsche Wirtschaftsprüfer*innen somit die korrekte zusätzliche Auszeichnung strukturierter Informationen prüfen.
Reaktionen der ESMA
Trotz all der ungeklärten Fragestellungen hat die ESMA das Block Tagging als Prüfungsschwerpunkt 2022 ausgelobt. Gleichzeitig hat die ESMA signalisiert, dass sie Rückmeldungen aus der Praxis wohlwollend aufnehmen und prüfen wird, ob die ESEF-Verordnung gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle angepasst werden sollte. Einen Schritt hat die ESMA sogar bereits auf die Praktiker*innen zugemacht. So entfällt im Entwurf für die neue Basistaxonomie 2022 das den gesamten Anhang umfassende Tag „Angabe des Anhangs und sonstiger Erläuterungen“ – umgangssprachlich als „Monster-Tag“ bezeichnet. Die Veröffentlichung im Amtsblatt kommt aber zu spät für die Saison 2022.
Mission: Impossible?
Aufgrund der zahlreichen Stolperfallen ist ein intensiver Austausch über die geeignete Handhabung des Block Taggings zwischen Ersteller*innen, Dienstleister*innen und Prüfer*innen unerlässlich. Sich einfach darauf zu berufen, dass sich bislang noch keine Praxis zum Umgang mit den Auslegungsfragen etabliert hat, ist keine Option. Letztendlich werden alle Beteiligten darlegen müssen, dass sie sich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt haben. Nur so wird es bei einer etwaigen Prüfung gelingen, überzeugend darzulegen, dass es sich bei dem gewählten Vorgehen um eine stringente Auslegung von Zweifelsfragen handelt. Aus diesem Grund ist es hilfreich, zu dokumentieren, warum und welche Entscheidung im Einzelfall getroffen wurde. Sinnvolle und sachgerechte ESEF-Unterlagen vorzulegen, ist angesichts des Block Taggings nicht unmöglich, aber mit Sicherheit noch einmal deutlich komplexer als in den Vorjahren.
Für weitere Themen rund um die Wirtschaftsprüfung und Mazars folgen Sie uns auch auf LinkedIn, X und XING.
Kommentare