EU passt Schwellenwerte an und ordnet Berichtspflichten neu
Die Berichtspflichten von Kapitalgesellschaften sind abhängig von ihrer Größe. Die EU definiert hierzu entsprechende finanzielle Schwellenwerte, die Ausmaß und Umfang der Berichterstattung regeln. Aufgrund der Inflation sollen diese Schwellenwerte jetzt erhöht werden – das hat weitreichende Folgen für Unternehmen und Abschlussprüfer*innen.
Insgesamt sieht das Handelsgesetzbuch vier Größenklassen bei Kapitalgesellschaften vor: Neben den Kleinstkapitalgesellschaften sind das kleine, mittelgroße und große Kapitalgesellschaften. Welches Unternehmen in welche Kategorie fällt, richtet sich nach Schwellenwerten in Bezug auf die Bilanzsumme, die Umsatzerlöse und die Mitarbeiterzahl. Die entsprechende Klassifizierung der Unternehmen kann weitreichende Rechtsfolgen hinsichtlich zu beachtender Rechnungslegungs- und Berichterstattungspflichten, etwa mit Blick auf Aufstellungspflichten, Prüfungspflichten oder Offenlegungspflichten, haben.
Weniger Aufwand für die Kleinen, mehr Transparenz für die Großen
Mit den unterschiedlichen Berichtspflichten auf Basis der Unternehmensgröße will die EU Aufwand und Kosten für kleinere, weniger finanzstarke Unternehmen reduzieren, während sie bei größeren Unternehmen mehr Transparenz im Interesse der Stakeholder schaffen will. So können Kleinstkapitalgesellschaften beispielsweise auf die Erweiterung des Jahresabschlusses um einen Anhang verzichten. Zudem entfällt für kleine Kapitalgesellschaften die Pflicht, einen Lagebericht aufzustellen. Und auch auf den zusätzlichen Anlagenspiegel, der Aufschluss über die Entwicklung der einzelnen Posten des Anlagevermögens in einer gesonderten Aufgliederung gibt, können kleine und Kleinstkapitalgesellschaften verzichten. Auch mittelgroße Kapitalgesellschaften profitieren von der Regelung: Ihnen bleibt beispielsweise die Aufgliederung der Umsatzerlöse nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geografisch bestimmten Märkten erspart.
Anpassung der Schwellenwerte an Inflationsentwicklung
Die Europäische Kommission ist verpflichtet, die Schwellenwerte für die Bestimmung der Größenklassen von Kapitalgesellschaften mindestens alle fünf Jahre zu überprüfen. Entsprechend hat sie am 13. September 2023 den Entwurf einer delegierten Richtlinie zur Änderung der Schwellenwerte vorgelegt. Die Notwendigkeit der Anpassung der monetären Schwellenwerte ergibt sich aus den anhaltend hohen Inflationsraten. So führt der Inflationseffekt dazu, dass sich ein zunehmender Anteil von Unternehmen plötzlich in einer höheren Größenklasse wiederfindet – mit allen erweiterten Rechtsfolgen, die das hinsichtlich der zu beachtenden Rechnungslegungs- und Berichterstattungspflichten mit sich bringt. Ziel der EU-Kommission bei der Schwellenwert-Anpassung ist es deshalb nicht, zusätzliche Erleichterungen für die Unternehmen zu schaffen. Stattdessen will sie lediglich verhindern, dass kleinere Gesellschaften nur auf Grund von Inflationseffekten in die nächsthöhere Unternehmenskategorie rutschen. Die von der EU-Kommission für sinnvoll erachtete und vorgeschlagene Anpassung beläuft sich dabei auf die kumulierte Inflation seit der vorangegangenen Anpassung in 2013 (ca. 25 Prozent). Im Verhältnis wird weiterhin am doppelten Wert der Umsatzerlöse zur Bilanzsumme festgehalten.
Unternehmen brauchen Planungssicherheit beim Mitgliedstaatenwahlrecht
Die Änderungsrichtlinie sieht ein Mitgliedstaatenwahlrecht vor. Demnach können es die Länder ihren Unternehmen freistellen, die neuen Schwellenwerte bereits auf Geschäftsjahre anzuwenden, die am oder nach dem 1. Januar 2023 beginnen. Ansonsten wäre der 1. Januar 2024 der verbindliche Stichtag für die neuen Schwellenwerte. Dass noch nicht klar ist, ob Deutschland das Wahlrecht ausüben wird oder nicht, führt aktuell zu Unsicherheiten bei den Unternehmen. Denn auch wenn Deutschland sich für das Wahlrecht entscheidet: Den Unternehmen entstehen schon jetzt Kosten, da sie sich darauf vorbereiten müssen, dass hierzulande auf das Wahlrecht verzichtet wird. Dabei geht es nicht nur um Aufwendungen, die für eine Ausweitung der finanziellen Berichterstattung entstehen. Investitionen fließen auch in die Vorbereitung der Nachhaltigkeits-Reportings, die auf kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften zukommen, wenn die Bundesregierung nicht vom Wahlrecht Gebrauch macht. Auch wenn die neuen Schwellenwerte am Ende doch für die Geschäftsjahre ab Januar 2023 geltend gemacht werden können – die bereits angefallenen Rüstkosten bekommen die Unternehmen nicht zurück. Die Bundesregierung hätte deshalb früher agieren müssen, um den betroffenen Unternehmen Handlungsspielräume zu ermöglichen. Den Unternehmen sollte jetzt schnellstmöglich Rechtssicherheit geboten werden, um Klarheit über den individuellen Bedarf zu erstellender Abschlussunterlagen und der Prüfungspflicht zu erlangen.
Unklare Rechtslage auch für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften problematisch
Es sind nicht nur die Unternehmen, auf die sich die unklare Rechtslage auswirkt – auch die Abschlussprüfer*innen sind betroffen. So ist davon auszugehen, dass Prüfungsverträge storniert werden, wenn durch das Inkrafttreten der neuen Schwellenwerte schon ab 2023 deren Grundlage nachträglich entfällt. Es ist ungewiss, ob die bei den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) plötzlich freiwerdenden Kapazitäten so kurzfristig neu verplant werden können. Möglicherweise verfolgen WPG manche Angebotsausschreibungen aktuell auch deshalb nicht weiter, weil ihre Kapazitäten bei Unternehmen gebunden sind, die sich auf Prüfungsverpflichtungen vorbereiten, die dann doch nicht in Kraft treten. Auch wenn die Prüfung zwar begonnen hat, dann aber aus den erwähnten Gründen nicht abgeschlossen wird, ist davon auszugehen, dass der Mandant vom Vertrag zurücktreten kann. Lediglich für die bereits erbrachte Leistung (z. B. Inventurbeobachtungen) ist ein entsprechender Honoraranteil zu diskutieren, da die Vertragskündigung nicht zurückwirkt. Durch eine freiwillige Abschlussprüfung wäre das Geschäftsverhältnis möglicherweise fortzusetzen, wobei hierbei aus Sicht der Abschlussprüfer*innen auf die Haftungsbeschränkung und die gesonderte Erteilung des Bestätigungsvermerks zu freiwilligen Abschlussprüfungen zu achten ist.
Schwellenwerte betreffen auch Nachhaltigkeits-Reportings
Neben den Auswirkungen auf die finanzielle Berichterstattung hat die EU-Richtlinie zur Anpassung der Schwellenwerte auch Effekte auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen. So gilt die Pflicht zur Aufstellung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung im Rahmen der Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) zunächst nur für große Kapitalgesellschaften. Die Anpassung der Schwellenwerte verringert damit die Anzahl der Unternehmen, die entsprechende Reportings erstellen müssen. Auf diese Weise konterkariert die Anhebung der Schwellenwerte das Ziel der EU zur Schaffung von mehr Transparenz beim Thema Nachhaltigkeit. Da der CSRD-Fahrplan im Zeitverlauf aber auch für kleinere Unternehmen Berichtspflichten vorsieht, können die aktuellen Maßnahmen auch als eine Art Stundung gewertet werden. Auch wenn die Schwellenwert-Anpassung einigen Unternehmen somit ein wenig Zeit verschafft, tun sie gut daran, ihre Planungen für kommende Berichtspflichten anhaltend weiterzuverfolgen und die entsprechenden Prozesse frühzeitig zu implementieren.
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