Joint-Audit-Serie Teil 1: Joint Audit & Shared Audit – sind mehrere Prüfer besser?
Der Fall Wirecard hat eine umfassende gesellschaftliche und politische Debatte rund um die Wirtschaftsprüfung und die Rolle des Abschlussprüfers entfacht. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und den Wirecard-Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen. Dort sollten Maßnahmen entwickelt werden, die dafür sorgen, das Risiko für Betrugsfälle zu verringern. Das Ergebnis: Im Sommer 2021 wurde das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) verabschiedet. Im Zusammenhang mit der Reform der Abschlussprüfung wurde auch die Frage nach alternativen Prüfungsmodellen aufgeworfen, insbesondere nach sogenannten Joint Audits.
In unserer Serie zum Thema Joint Audit wollen wir dieses Prüfungsmodell vorstellen und die verschiedenen Facetten genauer beleuchten: Was sind die Vorteile von Joint Audits? Wie laufen Joint Audits in der Praxis ab und entstehen dadurch zusätzliche Kosten? Dabei räumen wir auch mit einigen hartnäckigen Missverständnissen und Mythen auf.
In unserem ersten Beitrag geht es um die Frage, was ein Joint Audit ist, warum das Modell eine interessante Alternative für Unternehmen sein kann und worin die Unterschiede zu Shared Audits liegen.
Was ist ein Joint Audit?
Bei einem Joint Audit – zu Deutsch Gemeinschaftsprüfung – werden mehrere voneinander unabhängige Abschlussprüfer*innen für die Durchführung einer Jahres- bzw. Konzernabschlussprüfung bestellt. Das bedeutet, dass das geprüfte Unternehmen zwei (in seltenen Fällen auch drei oder mehr) Prüfungsgesellschaften beauftragt.
Die Besonderheit im Vergleich zu den üblichen Single Audits ist, dass Joint Auditors die Abschlussprüfung gemeinsam durchführen und den geprüften Abschluss auch gemeinsam testieren. Das Wichtigste gleich vorweg: Ein Joint Audit ist keine doppelte Prüfung (Dual Audit), bei der die gesamte Abschlussprüfung zweimal durchgeführt wird.
Bei einem Joint Audit haben die Prüfer genau umschriebene Verantwortlichkeiten, die in einem eigenen Prüfungsstandard (IDW PS 208 Zur Durchführung von Gemeinschaftsprüfungen (Joint Audit)) geregelt sind. Die Joint Auditors vereinbaren einvernehmlich den Umfang und die Aufteilung der Prüfarbeiten, und zwar entweder nach Themen, nach Geschäftsfeldern oder nach geografischen Regionen, um so eine vollständige Erfassung des zu prüfenden Abschlusses zu gewährleisten.
Am Ende der Prüfung führt die jeweils andere Seite einen Cross Review der Arbeitsergebnisse durch. Das gemeinsame Prüfungsergebnis und der Bestätigungsvermerk stützen sich am Ende auf die Urteile beider bestellter Prüfer.
Eine interessante Alternative für Unternehmen
Was auf den ersten Blick nach etwas mehr Arbeitsaufwand klingt, kann für Unternehmen tatsächlich durchaus Mehrwert bieten. Denn ein Joint Audit fördert durch das Vier-Augen-Prinzip sowohl die Stärkung der Unabhängigkeit beider Prüfer als auch die Prüfungsqualität durch zwei Qualitätssicherungssysteme. Vier Augen sehen schließlich mehr als zwei. Das schafft Sicherheit und Vertrauen gegenüber den Stakeholdern und der Öffentlichkeit. In Zeiten viel diskutierter Bilanzskandale ist das sehr wichtig.
Unternehmen profitieren zudem von der unterschiedlichen fachlichen Expertise von zwei Prüfungsgesellschaften, die verschiedene Prüfer*innen einbringen. Das gilt insbesondere bei komplexen Bilanzierungsfragen, im Hinblick auf Fachwissen in bestimmten Geschäftssegmenten oder einem bestimmten geografischen Gebiet. Ein weiterer Prüfer kann dieses zusätzliche Fachwissen beisteuern.
Joint Audits sind in Deutschland freiwilliger Natur und bislang – auch bei börsennotierten Unternehmen – noch wenig bekannt.
Im Jahr 2016 hat dieses Modell jedoch im Zuge der Umsetzung der EU Audit Reform 2014 deutlich an Relevanz gewonnen und wurde erstmals explizit in das HGB als Anreiz zur Verlängerung der Rotationsfristen aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass Joint Audits in der Vergangenheit gerade in den Fällen eingesetzt wurden, in denen der Öffentlichkeit gegenüber besonders viel Vertrauen in den Abschluss eines Unternehmens vermittelt werden sollte; auch um Diskussionen über die Ordnungsmäßigkeit der Abschlüsse zu vermeiden. Prominentes Beispiel war seinerzeit die Telekom, deren Abschluss neun Jahre lang von zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geprüft wurde.
Schaut man über den Rhein zum Nachbarn Frankreich, sind dort Joint Audits seit mehr als 50 Jahren verbreitete und erfolgreich gelebte Praxis. Seit 1966 sind sie für französische börsennotierte Unternehmen verpflichtend vorgeschrieben. Im EU-Vergleich hat dies in Frankreich zu einem wesentlich vielfältigeren Prüfermarkt geführt, was am Ende auch den Unternehmen zugute kommt, da sie mehr Wahlmöglichkeiten haben.
Joint Audit vs. Shared Audit – worin liegen die Unterschiede?
Ein Joint Audit unterscheidet sich grundlegend von einem Shared Audit, also einer aufgeteilten Prüfung. Bei einem Shared Audit hat nur eine Prüfungsgesellschaft, der sogenannte Primary Auditor, die volle Verantwortung für den zu prüfenden Abschluss und die Erteilung des Bestätigungsvermerks. Die andere beteiligte Prüfungsgesellschaft (oder Prüfungsgesellschaften), der Shared Auditor, ist für bestimmte Prüfungsbereiche zuständig und arbeitet dem federführenden Abschlussprüfer bzw. der Abschlussprüferin zu. Bei den Gebieten, die von dem Shared Auditor geprüft werden, handelt es sich zudem ganz überwiegend um nicht wesentliche Einheiten des Unternehmens.
Eine besondere Ausprägung des Shared Audits ist der Managed Shared Audit, der im Vereinigten Königreich durch die dortige Audit Reform bekannter wurde. Auslöser für diese Reform war der Bilanzskandal um den Baukonzern Carillion im Jahr 2018. Der im März 2021 veröffentlichte Regierungsvorschlag aus UK (White Paper „Restoring trust in audit and corporate governance: proposals on reforms“) sieht verpflichtende Managed Shared Audits für im FTSE 350 gelistete Unternehmen vor, bei dem der Primary Auditor eine Prüfungsgesellschaft aus dem Challenger-Umfeld – also keine Big-Four-Gesellschaft – als Shared Auditor an Bord nehmen muss. Zudem soll der Shared Auditor einen bedeutenden Anteil an der Prüfung übernehmen. Bedeutend heißt hier zwischen 10 % und 30 % in Bezug auf Umsatz, Ergebnis und/oder Bilanzsumme des zu prüfenden Unternehmens bzw. des Honorarvolumens.
Nach unserer Auffassung sind Joint Audits der Königsweg, um mehr Vielfalt und Wettbewerb auf dem Prüfermarkt zu erreichen und den Unternehmen einen echten Mehrwert von zwei Prüfern zu bieten.
Shared Audits und Managed Shared Audits können das nur bedingt leisten und allenfalls eine Übergangslösung sein. Denn im Gegensatz zum Joint Audit verringern Shared Audits die Markteintrittsbarrieren für mittelständische Unternehmen nicht wesentlich. Mittelständische Prüfungsgesellschaften sind bei Shared Audits oft in der Rolle des „Juniorpartners“ und würden sich auf kleinere Aufträge konzentrieren, während die komplexeren Bereiche der Prüfung von den Big Four durchgeführt würden. Die Vielfalt im Markt würde so nicht gefördert und die Prüfungsqualität nicht in dem Maße verbessert wie bei Joint Audits.
Nach dem FISG ist vor dem FISG II: Wie geht es mit dem Joint Audit weiter?
Auch wenn die Vorteile auf der Hand liegen, wurde mit dem FISG eine verpflichtende Einführung von Joint Audits noch nicht umgesetzt. Jedoch hat der Gesetzgeber mit einem im Rahmentext zum FISG formulierten Prüfauftrag für Joint Audits deutlich gemacht, dass er einen funktionierenden Wettbewerb auf dem Abschlussprüfermarkt bei Unternehmen von öffentlichem Interesse für wesentlich und eine größere Beteiligung von mittelständischen Prüfungsgesellschaften für wünschenswert hält.
Die Bundesregierung ist nun aufgefordert zu prüfen, ob die Marktvielfalt durch Joint Audits gefördert werden kann.
Auch auf EU-Ebene wird das Joint-Audit-Modell Gegenstand des Konsultationsverfahrens sein, wie die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion, Mairead McGuinness, in ihrer Rede vom 27. Mai 2021 verkündet hat. Die Reform ist also mit dem Beschluss des FISG lange nicht abgeschlossen – nach dem FISG ist vor dem FISG II. Die Weichen für weitere notwendige Reformen sind gestellt.
Weiterführende Links:
- Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) im Bundesanzeiger
- White Paper „Restoring trust in audit and corporate governance: proposals on reforms“ vom Department for Business, Energy & Industrial Strategy (UK)
- Rede von EU-Kommissarin Mairead McGuinness zu „Corporate reporting in the Capital Markets Union after Wirecard”
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