LSI-Stresstest: Europäische Banken im Härtetest

Reform & Debatte
5. November 2024

Der LSI-Stresstest 2024 beleuchtet die Widerstandsfähigkeit kleiner und mittlerer Banken in Europa gegenüber ökonomischen Schocks. Wir zeigen, was es mit diesem Stresstest auf sich hat und was die Ergebnisse bedeuten – auch für die Abschlussprüfung. Was macht Institute besonders robust? Ein Einblick in die Stabilität des Bankensektors.

Seit 2013 führt die Deutsche Bundesbank gezielt Stresstests bei kleineren und mittelgroßen Banken durch, sogenannten Less Significant Institutions (LSI), also „weniger bedeutenden Instituten“. Gesteuert von der Europäischen Zentralbank (EZB) finden in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Nationalbanken zeitgleich Stresstests bei allen EU-Kreditinstituten statt. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit dieser Banken gegenüber potenziellen wirtschaftlichen Schocks zu ermitteln. Zudem sollen die Testergebnisse die Institute in die Lage versetzen, die unternehmensindividuelle Resilienz besser einzuschätzen und gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten, um diese zu verbessern.

Weniger bedeutende Institute: Wann ist eine Bank ein LSI?

Ein Institut wird als LSI eingestuft, sofern es sich bei definierten Parametern unterhalb bestimmter Größenkriterien verortet. So muss der Gesamtwert seiner Aktiva beispielsweise unter der Marke von 30 Milliarden Euro liegen. Wichtig für eine Einstufung als LSI ist auch, dass das Institut keine wesentliche wirtschaftliche Bedeutung für die Europäische Union oder für ein einzelnes EU-Mitgliedsland jenseits seines Heimatmarkts hat. So dürfen beispielsweise die grenzüberschreitenden Vermögenswerte eines LSI nicht größer als 5 Milliarden Euro sein. Auch der Anteil der Aktiva oder Passiva, den das Institut in anderen Mitgliedstaaten hält, ist auf 20 Prozent der Gesamtaktiva bzw. Gesamtpassiva begrenzt.

Heißt das also, dass LSIs unbedeutend sind? Keineswegs: LSIs machen einen erheblichen Teil des Finanzsystems ihrer Länder aus und spielen eine zentrale Rolle in der regionalen Wirtschaft. Sie sind oft eng mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) und der lokalen Wirtschaft verknüpft und tragen wesentlich zur Kreditvergabe und finanziellen Stabilität in ihren Regionen bei. Ihre Widerstandskraft ist daher entscheidend für das gesamte Bankensystem. Genau das dürfte auch der Grund dafür sein, warum EZB und Bundesbank die LSI-Stresstests eingeführt haben. Die Bedeutung der kleineren Institute darf jedenfalls nicht unterschätzt werden.

Wie hoch die Bedeutung kleinerer Banken ist, zeigt schon die Anzahl der Stresstest-Teilnehmer: Rund 1.300 kleine und mittelgroße Institute in Deutschland waren in der aktuellen Untersuchung mit dabei. Bei allen befragten LSIs in Europa handelt es sich um eine Auswahl an Banken, die repräsentativ für die Vielfalt der europäischen Bankenlandschaft stehen und die die unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen in der EU widerspiegeln.

Der Stresstest: Struktur und inhaltliche Schwerpunkte

Der LSI-Stresstest umfasst zwei wesentliche Teilaspekte: einen Umfrageteil und den eigentlichen Stresstest. Im ersten Teil müssen die Kreditinstitute ihre Plan- und Prognosedaten für den definierten Zeitraum angeben. In der aktuellen Umfrage geht es um die Jahre von 2024 bis 2028. Im Vergleich zur letzten Umfrage aus dem Jahr 2022 werden weitergehende Fragen zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Adressrisiken, zu IT-Risiken und der Digitalisierung, zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken (Umwelt- und Klimarisiken), zu Geschäftsmodell- und Zinsänderungsrisiken sowie zur Inflation gestellt. Diese Fragen beantworten die Institute mit „Ja“ oder „Nein“ oder anhand eines Skalensystems.

Im zweiten Teil, dem eigentlichen Stresstest, wird die Ertragslage und Widerstandsfähigkeit der Kreditinstitute simuliert – im aktuellen Fall für die Jahre 2024 bis 2028. In einem Basis- und einem Stressszenario modellieren die Banken jeweils ihre Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Zinsergebnis-, Adressrisiko- und Marktrisikokomponenten. Das Stressszenario beinhaltet eine massive Wirtschaftseintrübung und eine entsprechend herausfordernde Marktentwicklung. Durch die Zweiteilung sollen sowohl die strukturellen Grundlagen als auch die Reaktionsfähigkeit der Institute in Krisensituationen bewertet werden können.

Szenarien: Zukunftsdystopien sollen für hypothetischen Krisen wappnen

Für die Durchführung des Stresstests hat die Aufsicht verschiedene Szenarien und Stressfaktoren entwickelt, um die Widerstandsfähigkeit der teilnehmenden Banken zu bewerten und vergleichbar zu machen. Diese Szenarien umfassen unter anderem hypothetische wirtschaftliche Abschwünge, drastische Zinsänderungen und erhebliche ökonomische Veränderungen, die sowohl auf globaler als auch auf regionaler Ebene auftreten könnten. Die EZB hat die Szenarien so gestaltet, dass sie extreme, aber plausible wirtschaftliche Bedingungen simulieren. Auf diese Weise soll deutlich werden, wie gut die Institute in der Lage sind, entsprechenden Herausforderungen zu begegnen, ohne ihre Kapitalbasis oder Liquidität zu gefährden.

Wie wichtig es ist, selbst schwere wirtschaftliche und politische Krisen in der hypothetischen Planung zu berücksichtigen, zeigen die Ereignisse der vergangenen Jahre. Allen voran die Covid-19-Pandemie und der durch Russland initiierte Krieg gegen die Ukraine verdeutlichen, dass die ökonomische Stabilität Europas jederzeit auf die Probe gestellt werden kann.

Ergebnisauswertung: Steigerung der Resilienz auf Basis der Risikodaten

Die Ergebnisse des LSI-Stresstests dienen EZB und Bundesbank nicht nur zur Evaluation und Lageeinschätzung. Sie sollen den teilnehmenden Banken auch die Möglichkeit geben, sich beim Thema Resilienz zu verorten und besser einzuschätzen. So ordnen die Aufsichtsbehörden die Banken auf der Basis der erhobenen Daten in vergleichbare Peergroups ein. Zudem ermitteln sie für jedes Institut einen sogenannten SREP-Score (SREP: Supervisory Review and Evaluation Process). Der SREP stellt eine Art Risikoprofil der jeweiligen Bank dar und kann beispielsweise den Aufsichtsgremien  als Grundlage für zukunftsweisende Entscheidungen dienen. Der SREP-Score kann aber auch ein Anlass für eine Sonderprüfung sein oder Thema des jährlichen Aufsichtsratsgesprächs werden. Er bildet zudem eine wichtige Basis für zukünftige Eigenmittelanforderungen.

LSI-Stresstest 2024: Banken mit Stärken und Schwächen

Die Ergebnisse des LSI-Stresstests haben gezeigt, dass die meisten Banken über ausreichende Kapitalreserven verfügen, um wirtschaftliche Schocks zu bewältigen. Aggregiert betrachtet verfügen die Institute auch nach einem simulierten Kapitalrückgang von 3,7 Prozentpunkten noch über eine harte Kernkapitalquote von 14,5 Prozent. Im Planszenario rechnen die Institute mit einem Anstieg der harten Kernkapitalquote von 18,2 Prozent auf 19,4 Prozent bis zum Jahr 2028. Dies ist eine wesentliche Stärke, da es die Stabilität des Finanzsystems in Krisenzeiten gewährleistet. Die größeren LSIs haben insbesondere durch ihre robusten Risikomanagementstrategien und diversifizierten Portfolios überzeugt.

Jedoch wurden auch Schwachstellen identifiziert: Kleinste Kreditinstitute und spezialisierte Finanzdienstleister haben oft nicht die gleichen Ressourcen und Kapazitäten wie größere Institute. Ihre Risikomanagementstrategien sind weniger ausgereift, was sie anfälliger für wirtschaftliche Turbulenzen macht. Insbesondere Adress- und Marktrisiken trugen maßgeblich zum Kapitalverzehr bei. Ursächlich hierfür sind Kredite gegenüber Unternehmen und im Mengengeschäft sowie unbesicherte ausgefallene Forderungen. Nicht zinstragende Positionen tragen überproportional zum Stresseffekt des Marktrisikos im adversen Szenario bei, insbesondere Aktien und Immobilienpositionen. Bedingt durch höhere Zins- sowie Credit-Spread-Schocks steigt weiterhin das Gewicht der zinstragenden Positionen hinsichtlich des Verzehrs der harten Kernkapitalquote gegenüber dem LSI-Stresstest 2022 an. Hierbei hat sich gezeigt, dass Institute eine direkte Entlastung beim Stresseffekt erzielen konnten, wenn sie Derivate zur Absicherung der Marktrisiken eingesetzt haben.

Abschlussprüfung: Stresstest liefert wichtige Informationen

Die Ergebnisse der Stresstests liefern wertvolle Informationen über potenzielle Risiken und Schwachstellen der Institute. Diese Informationen unterstützen Wirtschaftsprüfer*innen bei der Beurteilung der Risikovorsorge und der Kapitalausstattung. Integrieren die Prüfer*innen die Stresstestergebnisse ins Audit, stellen sie sicher, dass die Finanzberichte ein realistisches und umfassendes Bild der finanziellen Lage der Bank vermitteln. Durch die Integration dieser Ergebnisse in die Prüfung können Wirtschaftsprüfer*innen sicherstellen, dass die Finanzberichte ein realistisches Bild der finanziellen Lage der Bank vermitteln. Wirtschaftsprüfer*innen sollten hierbei die Stresstestergebnisse ihres Mandanten sorgfältig analysieren und in den Kontext der gesamten Risikobewertung der Bank stellen. Dabei ist es wichtig, die Annahmen und Methodiken der Stresstests zu überprüfen und deren Auswirkungen auf die Eigenkapitalquoten und die Rentabilität zu bewerten. Darüber hinaus ermöglichen die Stresstestergebnisse eine fundierte Einschätzung der langfristigen Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Mandanten. Dies ist besonders wichtig für die Bewertung der Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle und der strategischen Ausrichtung des Institutes.

Fazit: Finanzstabilität erfordert weitere Anpassungen

Der LSI-Stresstest 2024 hat wichtige Erkenntnisse über die Widerstandsfähigkeit kleiner und mittlerer Banken in Europa aufgezeigt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass viele LSIs gut auf Stresssituationen vorbereitet sind. Insbesondere solche Banken, die bereits robuste Risikomanagementstrategien entwickelt haben, schnitten besonders gut ab. Allerdings hat der Stresstest auch Schwachstellen aufgedeckt, insbesondere im Bereich der Kredit- und Marktpreisrisiken. Der Stresstest unterstreicht, dass dynamische Anpassungen an wechselnde ökonomische Bedingungen notwendig sind, um die Finanzstabilität in Europa zu gewährleisten.

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